Liberalisierung von Dienstleistungen:"Unseliger Wettbewerb"

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Künftig sollen Dienstleister im Ausland nach dem Recht ihres Heimatlandes arbeiten können. Dies lehnen aber einige Minister aus der rot-grünen Koalition entschieden ab.

Von Andreas Hoffmann und Ulrich Schäfer

"Wir müssen aufpassen, dass soziale Standards und Qualitätsnormen eingehalten werden und kein Sozialdumping entsteht", sagte Verbraucherministerin Renate Künast der Süddeutschen Zeitung.

Die Grünen-Politikerin kritisiert insbesondere, dass nach dem Willen der Brüsseler Kommission für ausländische Dienstleister nicht mehr die Vorschriften ihres Gastlandes gelten sollen, sondern die Regeln aus ihrem Heimatland.

Ein portugiesischer Installateur könnte so seine Dienste in Deutschland nach portugiesischem oder ein griechischer Krankenpfleger seine Hilfe nach griechischem Recht anbieten. "Das überfordert doch den einfachen Bürger. Er weiß doch nicht welche Regeln in einzelnen Ländern gelten", sagte Künast.

Die Grünen-Politikerin erklärte, dass auch Sozialministerin Ulla Schmidt und Justizministerin Brigitte Zypries (beide SPD) Bedenken gegen ein umfassende Öffnung der Dienstleistungsmärkte hegen.

Millionen könnten profitieren

Auch in der SPD-Fraktion wächst der Widerstand gegen das Vorhaben, das Anfang 2005 erstmals vom europäischen Parlament beraten werden soll.

Die Wirtschaftspolitikerin Sigrid Skarpelis-Sperk, zuständige Berichterstatterin der Arbeitsgruppe Wirtschaft und Arbeit, warnt vor einer "Deregulierung auf niedrigstem Niveau". Die EU-Pläne würden "zu einem Steuer-, Sozial-, Öko- und Qualitätsdumping führen".

Wirtschaftsminister Wolfgang Clement und Kanzler Gerhard Schröder erhoffen sich von der Liberalisierung des Servicesektors hingegen einen gewaltigen Wachstumsschub und einen entscheidenden Beitrag, um Europa zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen.

Forschungsinstitute erwarten, dass sich die Exporte um ein Drittel erhöhen könnten. "Von einem echten Binnenmarkt für Dienstleistungen würden allein in Deutschland Millionen Unternehmen profitieren", schrieb Schröder kürzlich im Handelsblatt. Die Vorschläge der EU-Kommission für eine Dienstleistungsrichtlinie müssten daher konsequent verfolgt werden.

Die Brüsseler Wettbewerbshüter hatten den Entwurf für ihre Richtlinie bereits Anfang diesen Jahres vorgelegt. Die Debatte darüber kommt in Deutschland aber erst jetzt in Gang. Die Richtlinie sieht vor, dass in zentralen Servicebranchen zukünftig das so genannte Herkunftsland-Prinzip gilt, also Freiberufler, Handwerker oder Krankenpfleger ihre Dienste grenzüberschreitend nach den ihnen daheim bekannten Standards anbieten können.

Die Gewerkschaften befürchten, wie IG-Bau-Chef Klaus Wiesehügel diese Woche dem Kanzler schrieb, dass dadurch "ein unseliger Wettbewerb um das weichste Unternehmensrecht und die schwächsten Kontrollen unternehmerischer Tätigkeit eingeleitet" würde.

Die Wirtschaft erhofft sich dagegen einen leichteren Zugang zu anderen Märkten. Ausgenommen von der Richtlinie sind Wirtschaftszweige, für die es bereits eine gesonderte Regulierung gibt, etwa der Finanz- und Energiesektor, aber auch Verkehr, Post oder Rechtsanwälte.

Künast drängt auf weitere Ausnahmen, etwa im Verbraucher- und Tierschutz. "Wir haben strenge Regeln für die Tätigkeit von Tierärzten geschaffen, die dürfen nicht vom Ausland aus unterlaufen werden", sagte sie. Problematisch sei es auch, andere Zweige wie die Altenpflege oder das Handwerk zu öffnen.

Keine Harmonisierung

Die Ministerin verlangt, dass für Sozial- und Verbraucherstandards nicht das Herkunftslandprinzip angewendet wird.

Auch die SPD-Politikerin Skarpelis-Sperk hält es für falsch, "dass die EU in jedem Land parallel 25 verschiedene Rechtssysteme etablieren will, anstatt sich um eine echte Harmonisierung zu bemühen".

Sie verweist darauf, dass der Bundesrat in einer ersten Stellungnahme bereits Teile der Richtlinie abgelehnt hat. Die Länder befürchten erhebliche Kosten, weil sie künftig Dokumente und Genehmigungen in der Sprache des Heimatlandes akzeptieren müssten.

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