Leuna-Affäre:Gerüchte statt Beweise

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Der Verdacht, dass deutsche Politiker bei der Privatisierung der Leuna-Raffinerie geschmiert wurden, lässt sich nicht erhärten.

Hans Leyendecker

(SZ vom 8.7.2003) — Der 28. April war aus deutscher Sicht ein spannender Tag im Prozess um die Praktiken beim französischen Ölkonzern Elf Aquitaine. Ein früherer Top-Manager des Unternehmens, Alfred Sirven, erklärte, beim Kauf der ostdeutschen Leuna-Raffinerie Anfang der neunziger Jahre seien "zwei deutsche Minister" mit Barem bedacht worden.

Der eine Geldempfänger war Hans Friderichs (FDP), von 1972 bis 1977 Bundeswirtschaftsminister. Friderichs hatte bei der Privatisierung von Leuna ein Mandat von Elf und agierte als Aufsichtsratsvorsitzender der Leuna-Werke. Die zweite Geldempfängerin war Agnes Hürland-Büning. Die Christdemokratin war von 1987 bis 1990 Parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, hat aber erst nach ihrem Abschied von der Hardthöhe für Elf gearbeitet.

Korruptionsverdacht seit Mitte der Neunziger

Seit Mitte der neunziger Jahre die ersten Korruptionsgerüchte auftauchten, wurden von unter Verdacht geratenen Ex-Elf-Managern folgende deutsche Organisationen, Politiker oder Parteien als angebliche Geldempfänger ins Spiel gebracht: Stasi, Treuhand, Beamte allgemein, der Bundesnachrichtendienst speziell, die CDU, Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl und schließlich sogar die Grünen.

Die Verbreiter der Gerüchte waren offenkundig mit deutschen Verhältnissen wenig vertraut. Wenn sie in Vernehmungen nach Zahlungen an deutsche Politiker befragt wurden, verwiesen sie meist auf Kenntnisse vom Hörensagen: "Ich hatte das Gefühl" und "soweit ich verstanden habe", waren die gebräuchlichen Wendungen.

"Herr Sirven hat mir gesagt, dass ich selbst in große Gefahr geraten könnte, wenn mir die Identität der fraglichen Personen bekannt gewesen wäre", hat der Ex-Elf-Manager André Tarallo dem Ermittlungsrichter gesagt. Im Fall Leuna gibt es viele Hirngespinste, und dennoch "stinkt das Ganze", sagt resümierend der Saarbrücker Oberstaatsanwalt Raimund Weyand der Süddeutschen Zeitung.

Aber "nicht aus der Politik" komme der faulige Geruch. Es stinke aus "anderen Kanälen". Der Strafverfolger hatte sich anderthalb Jahre lang mit den Geschäften des deutschen Geschäftsmannes Dieter Holzer beschäftigt, der als Lobbyist im Fall Leuna eine Rolle gespielt hat.

Viel Geld für wenig Arbeit

Auf verschlungenen Wegen hatte Holzer rund 50 Millionen Mark Provisionen bekommen. Im Wesentlichen bestand seine Tätigkeit für Elf darin, wichtige Leute an einen Tisch zu bekommen. Aus Sicht der Ermittler viel Geld für wenig Arbeit.

Holzer beteuerte dagegen in Saarbrücken und auch in Paris, wo er mit auf der Anklagebank sitzt, dieses Honorar sei üblich gewesen; er habe keine Mark weitergeleitet. Zweifel sind erlaubt. Weder hat Holzer, was bei solch hohen Zahlungen üblich ist, das Geschäft von der ersten Stunde an begleitet, noch hat er die Verträge ausgearbeitet.

Die Pariser Staatsanwälte bezweifeln sogar, dass er am Zustandekommen des Geschäfts einen entscheidenden Anteil hatte. Sie hegen deshalb den Verdacht, dass Holzer einen Teil des Geldes weitergeleitet hat. Intensiv hat sich Weyand mit dem Weg der Holzer-Millionen beschäftigt, und er ist auf "mehr Fragen als Antworten gestoßen."

Die komplizierten Zahlungsflüsse seien "überwiegend nicht nachvollziehbar" und "ohne erkennbaren wirtschaftlichen Hintergrund" erfolgt, hat der Strafverfolger in einem Vermerk notiert. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam der Karlsruher Bundesanwalt Bruno Jost, der im Vorjahr fünf Monate lang zusammen mit Kollegen 55 Leuna-Ordner sichtete, die er von dem Genfer Generalstaatsanwalt Bernard Bertossa erhalten hatte.

Transaktionen seien "zum Teil nicht nachvollziehbar" schrieb Jost. Es gab Bar-Abhebungen in zweistelliger Millionenhöhe. Ein Teil des Geldes sei auf Konten Holzers im Libanon transferiert worden, wo die Ermittler keinen Einblick haben. Für eine Anklage reichten die Verdachtsmomente gegen Holzer in Saarbrücken nicht.

Auch der Bundesanwalt, der ohnehin nur bei organisierter Kriminalität selbst aktiv geworden wäre, schloss die Genfer Akten. Nach Durchsicht der Leuna-Akten war Jost, einer der hartnäckigsten deutschen Ermittler, über Bertossas Chuzpe verblüfft, der diese 16500 Seiten als Schlüssel zur Aufklärung des Falles Leuna angepriesen hatte.

Nach Lektüre müsse "eine demokratische Strafverfolgungsbehörde einfach handeln", hatte Bertossa erklärt und den Eindruck verstärkt, Politiker seien geschmiert worden. Aber für den Generalverdacht, dass Holzer oder Elf aktive Politiker oder Parteien in Deutschland mit Geld bedacht oder gar bestochen haben, gibt es im Fall Leuna nach Ansicht von Jost keinerlei Anhaltspunkte. "Aussagen und Andeutungen über Zahlungen an deutsche Politiker, Entscheidungsträger, Parteien oder sonstige Einrichtungen" hätten sich nicht bestätigt. So sieht es auch Weyand.

Der Ablauf des Prozesses in Paris scheint dafür einen anderen Verdacht zu bestätigen: "Leuna war ein Kick-Back an Elf-Manager", hatte früh der Christdemokrat Wolfgang Schäuble gemutmaßt. Nach diesem Modell hätte Holzer einen Teil des Geldes an die Elf-Manager zurückgezahlt, die es eingesteckt hätten.

Eine rätselhafte Rolle, die auch in dem Pariser Elf-Verfahren nicht geklärt werden konnte, spielt der frühere Bundesverkehrsminister Günther Krause, der vor gut sechs Monaten in anderer Sache wegen Untreue, Betrugs und versuchter Steuerhinterziehung in erster Instanz zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt worden ist.

Im Zusammenhang mit der Leuna-Privatisierung hatte Krause den Franzosen zunächst geholfen, das Tankstellen-Netz des Ex-DDR-Staatsbetriebes Minol zu erhalten. Sein damaliges Verkehrsministerium hatte gegen Widerstand im Bundeskartellamt den Franzosen eine kartellrechtliche Ausnahmegenehmigung besorgt.

Im Mai 1993 musste Krause nach einer Affäre zurücktreten. Er wurde Unternehmer und versuchte sich als Lobbyist. Anfang 1994 mischte er sich auf Initiative Holzers in die Leuna-Privatisierung ein und erhielt später von einer Holzer-Firma ein Darlehen über 600 000 Mark.

In Sachen Leuna habe es "nach Schwefel gerochen" hat der frühere Direktor des Raffineriegeschäfts von Elf, Alain Guillon, vor Gericht gesagt. Aber wer war der Teufel und in welcher Höhle hat er gesessen?

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