Leitzinserhöhung:Zu früh geschimpft

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Selten hat eine Leitzinserhöhung so viel Gegenwehr ausgelöst wie die absehbare Entscheidung der Europäischen Zentralbank. Dabei hat EZB-Präsident Jean Claude Trichet gute Gründe. Die Kritik ist weit überzogen.

Helga Einecke

Selten löste ein viertel Prozentpunkt Zins so viel Gegenwehr aus. Erstmals seit fünf Jahren setzt die Europäische Zentralbank den Preis für kurzfristige Kredite an die Banken leicht herauf.

Schon vorher hatten sich Finanzminister, Sachverständige, Ökonomen und Gewerkschaften über die absehbare Entscheidung aufgeregt. So als bremse die Notenbank die Konjunktur aus. Die Verteuerung der Kredite sei Gift für die Wirtschaft angesichts des schwachen Wachstums, heißt es.

Die Kritik ist weit überzogen. So schnell wird sich bei einer geringen Erhöhung der Leitzinsen nichts ändern. Weder verzichten Unternehmen wegen 0,25 Prozentpunkten auf einen Kredit noch endet der Immobilienboom in einigen europäischen Ländern - jedenfalls nicht wegen der EZB-Entscheidung.

Auftrag

Gesetzlicher Auftrag der Notenbank ist auch nicht die Konjunkturpolitik. Sie soll vielmehr dafür sorgen, dass das Preisniveau stabil bleibt.

Ohnehin sind die Zinsen derzeit im historischen Vergleich extrem niedrig. Selbst wer sein Geld für sehr lange Zeit festlegt, bekommt dafür nicht viel Geld. Die über zehn Jahre laufenden Bundesanleihen bieten eine Rendite von mageren 3,4 Prozent. Bei einer Teuerung von mehr als zwei Prozent bleibt da nicht viel Ertrag übrig.

Der Anstieg der Verbraucherpreise um mehr als zwei Prozent kann der Notenbank nicht gefallen; sie hat sich ein Inflationsziel von knapp zwei Prozent gegeben. Aber dramatisch ist die Überschreitung dieses Ziels auch wieder nicht. Die Zinsen sind in Europa seit über zwei Jahren extrem niedrig; entsprechend wurde viel Geld in den Kreislauf gepumpt.

Doppelt so hohe Zinsen in den USA

Auch diese Geldschwemme kann Preiserhöhungen begünstigen, zum Beispiel wenn Firmen Spielraum für Preiserhöhungen bekommen. Schließlich müssen die Zentralbanker in Frankfurt auch über die Eurozone hinausblicken. In den Vereinigten Staaten werden heute doppelt so hohe Zinsen wie in Europa geboten.

Das Kapital strömt über den Atlantik, nicht nur wegen der größeren Dynamik der amerikanischen Wirtschaft, sondern auch aus ganz kurzfristigem Kalkül. Es lohnt sich heute, in Europa billiges Geld aufzunehmen und es in Dollar wieder teuer anzulegen.

Besser wäre es, wenn mehr Kapital in Europa selbst investiert würde, weil nur durch Investitionen Beschäftigung entsteht. Alles in allem arbeitet die Europäische Notenbank wie ein Risikomanager, der die Gefahren für steigende Preise mit einer leichten Zinserhöhung mildern will. Schelte verdient sie für diesen Schritt nicht.

© SZ vom 02.12.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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