Leibrente:Modell mit Tücken

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Wer sein Haus verkaufen, aber nicht ausziehen will, kann sich für eine Leibrente entscheiden. Doch ein Beispiel aus Bayern zeigt, dass dies nicht so einfach ist.

Von Marianne Körber

Jeder zweite Rentnerhaushalt hat eine eigene Immobilie. Trotzdem haben viele Senioren nicht genug Geld für ein komfortables Leben. Zwei Millionen Immobilieneigentümer über 65 haben weniger als 1000 Euro monatlich zur Verfügung, und jeder vierte Rentner hat sein Haus oder die Eigentumswohnung noch nicht abbezahlt, stellt die Deutsche Seniorenliga fest. Vor allem nach dem Tod des Partners wird es finanziell oft eng. Frauen sind besonders häufig von Geldsorgen betroffen, denn meist stirbt der Mann zuerst, nicht nur weil er immer noch eine niedrigere Lebenserwartung hat, sondern weil er in drei viertel der Partnerschaften älter ist als seine Partnerin (laut Statistik im Durchschnitt vier Jahre).

Was liegt da näher, als die Immobilie zu Geld zu machen, zum Beispiel durch ein Leibrenten-Modell? Dabei wird das Haus oder die Wohnung verkauft, dafür gibt es dann vom Käufer eine monatliche Rente und Wohnrecht, manchmal auch verbunden mit einer Einmalzahlung. Vor allem wenn keine Erben da sind, findet so mancher Ältere die Idee verlockend. Angeblich wollen ohnehin immer weniger Menschen im Ruhestand verzichten, um den Nachkommen mehr zu vererben; nach Angaben der Deutschen Leibrenten AG, die so ein Finanzprodukt anbietet, halten 77 Prozent der Ruheständler wenig von so einer Sparsamkeit.

Was ist die Immobilie eigentlich wert? Und wem vertraue ich meine Zukunft an?

Das Leibrenten-Modell ist leicht zu verstehen und klingt einfach, ist es aber nicht. Das hat auch Peter Drossel (Name geändert) erfahren, 76, kinderlos, seit Kurzem verwitwet. Allein in einem großen Haus in einer bayerischen Kleinstadt stellte sich für ihn die Frage, wie es nun weitergehen soll. Zwar fühlt er sich fit und kommt - dank Putzfrau und Gärtner - gut allein zurecht, aber wer weiß schon, wie lange noch? Die Idee, sein Haus zu verkaufen und in eine kleinere Wohnung zu ziehen, verwarf er schnell wieder - bei den Wohnungspreisen wäre das ein schlechter Tausch. Außerdem lebt er gern in der kleinen Siedlung am Waldrand. Aber etwas mehr Geld für Reisen und Hobbys wäre schön, fand er, und fing an, sich über die Leibrente zu informieren, ein ziemlich schwieriges Unterfangen.

Da ist zunächst zu klären, was das Haus - erbaut in den Sechzigerjahren und immer wieder mal renoviert -, eigentlich wert ist. Dazu ging Peter Drossel den besten, aber auf den ersten Blick auch teuersten Weg: Er bestellte einen unabhängigen, vereidigten Gutachter zu sich. Dessen umfangreiche Analyse ergab einen geschätzten Verkehrswert von 510 000 Euro. Mit dieser Information machte er sich an die Arbeit und schrieb mehrere Anbieter der Leibrente an, so die Deutsche Leibrenten Grundbesitz AG, die Stiftung Liebenau, die VMT Immofinanz, die ImmoVerkauf 24 GmbH und einige andere Firmen. Und er meldete sich auf die Privatanzeige eines Herrn, der vorgab, als Unternehmer über zu viel Kapital zu verfügen und Anlagemöglichkeiten für sich und seine Familie zu suchen.

Die Vorstellung des Seniors von einem guten Angebot: "Wohnrecht im Haus auf Lebenszeit, damit verbunden eine monatliche Rente und eine Einmalzahlung in Höhe von ungefähr 200 000 Euro." Wer für anfallende Reparaturen zuständig sein soll, "ist Verhandlungssache". Außerdem müssten die vereinbarten Leistungen auch im Fall einer Insolvenz des Käufers bis zum Lebensende gewährleistet sein.

Über Langeweile brauchte sich Drossel nicht mehr zu beklagen. Die nächsten Wochen bekam er schriftliche Angebote, Telefonanrufe und Besuch - nur die Informationen, die nötig wären, um eine so weitreichende Entscheidung zu treffen, die bekam er nicht. Denn die Frage, wer hinter diesen Firmen steckt und woher das Geld für die Immobilienkäufe stammt, wird in all den schönen Broschüren selten beantwortet: Wem vertraue ich da eigentlich meine Zukunft an? Dass manche Anbieter erst seit Kurzem auf dem Markt sind und Kapitalanlegern hohe Zinsen versprechen, wird potenziellen Hausverkäufern nicht erzählt, auch nicht, wie viel die Anbieter der Leibrente an solchen Deals verdienen.

Wie hoch die Leibrente ausfällt, hängt auch vom Wohnrecht und dem Alter des Verkäufers ab

Aber wie kalkulieren die Unternehmen eigentlich? Peter Drossel bekam zum Beispiel folgende Offerte: 177 000 Euro als Einmalzahlung und 900 Euro Rente im Monat. Oder diese: 68 000 Euro in bar und 1415 Euro monatlich. Oder eine Einmalzahlung von 220 000 Euro, aber keine Monatsrente. Ist das alles überhaupt vergleichbar? Also: geschätzter Immobilienwert 510 000 Euro, minus 177 000 = 333 000 Euro geteilt durch 900 = 370 Monate geteilt durch 12 = 30,8 Jahre? Wird hier eine Lebenserwartung von 30 Jahren unterstellt?

Natürlich nicht, denn auch das Wohnrecht muss berücksichtigt werden in Form einer fiktiven Miete, in dem Fall von 1600 Euro im Monat, sowie die Kosten und Risiken des Anbieters. Wie hoch die Leibrente ausfällt, hängt vom Wert der Immobilie (und deren Sanierungsbedarf), dem Wert des Wohnrechts und dem Alter des Verkäufers ab.

Den Wert der Immobilie ermitteln oft Gutachter, die vom Anbieter bestellt werden. Was von der Logik her bedeutet, umso niedriger diese Experten den Wert ansetzen, umso weniger braucht der Anbieter zu bezahlen. Besser ist also, wie Drossel einen unabhängigen Sachverständigen zu beauftragen. Übrigens verhilft das auch zu mehr Realismus, denn fast jeder zweite Immobilieneigentümer überschätzt den Wert seines Hauses, wie der Immobiliendienstleister McMakler in einer Umfrage herausgefunden hat. Peter Drossel stellte übrigens keine großen Unterschiede bei den Kaufpreisschätzungen fest, was auch daran liegt, dass er die Anbieter über das Expertengutachten informierte.

Faktor Alter: Je länger die Lebenserwartung, desto geringer die Zahlung. Das heißt, Frauen bekommen weniger, weil die Statistik ihnen ein paar Jahre mehr bescheinigt. Doch es gibt eben verschiedene Statistiken, die des Statistischen Bundesamts und die der Versicherer. Letztere unterstellen eine höhere Lebenserwartung, was bei der Leibrente weniger Geld bedeutet. Das Ganze ist eine Wette auf die Zukunft: Sterben die Hausverkäufer früher als kalkuliert, profitieren die Anbieter. Es sei denn, es wird eine Mindestlaufzeit für die Rentenzahlungen vereinbart, was sinnvoll ist, denn dann bleibt was für die Erben.

Mit einer Einmalzahlung kann man für den Fall einer späteren Pflegebedürftigkeit vorsorgen

Es gibt noch viel mehr, was Hausverkäufer wissen sollten. Zum Beispiel, dass die Leibrente mit dem sogenannten Ertragsanteil besteuert wird, und der hängt wiederum vom Alter der Senioren ab - je jünger, desto mehr fordert der Fiskus. Dazu Rechtsanwalt Klaus Grieshaber, Vizepräsident des Bundes der Steuerzahler: "Der Ertragsanteil ist abhängig vom vollendeten Lebensjahr bei Beginn der Rente. So beträgt der Ertragsanteil bei vollendetem 65. Lebensjahr 18 Prozent." 18 Prozent der Rente müssen in diesem Fall also mit dem persönlichen Satz versteuert werden. Bei Drossel sind es zehn Prozent.

Ebenfalls wichtig: die Unterscheidung zwischen Wohnrecht und Nießbrauch und die Folgen daraus, zum Beispiel für die Frage, wer für welche Kosten zuständig ist (siehe Artikel rechts). Außerdem der Hinweis, dass das Wohnrecht immer im Grundbuch vermerkt werden sollte, und zwar an erster Stelle abgesichert. Denn nur dann bleiben die Rechte des Verkäufers erhalten, wenn der Käufer der Immobilie pleite gehen sollte. Diese Rechte müssen aber möglicherweise vor Gericht durchgesetzt werden, was viel Zeit und Nerven kostet. Besser ist es also, man achtet von vornherein auf die Bonität der Anbieter. Womit man wieder bei der Transparenz wäre.

Das Thema Transparenz hat auch Peter Drossel beschäftigt. Er hat festgestellt, dass bei Angeboten von Privatpersonen besondere Vorsicht geboten ist - der angeblich so liquide Unternehmer war gar nicht so wohlhabend, wie Recherchen im Internet ergaben. Was, wenn der Käufer nicht wie vereinbart zahlt? Für so einen Fall bietet sich eine Rückübertragungsklausel an, die ebenfalls im Grundbuch eingetragen werden und vom Notar beglaubigt werden muss, empfehlen Experten.

Das alles zeigt, dass die Leibrente alles andere als ein einfaches Finanzprodukt ist, auch wenn Anbieter das suggerieren. Leichtfertig und gutgläubig sollte man sich nicht darauf einlassen, sonst riskiert man, eines Tages ohne Geld dazustehen. Auch Verbraucherschützer raten dazu, sich die Angebote genau anzusehen. Ob sich eine Leibrente lohne, lasse sich nicht pauschal mit Ja oder Nein beantworten, das hänge von der individuellen Situation ab.

Apropos Geld - was will Peter Drossel eigentlich mit der Einmalzahlung anstellen, in diesen Nullzinszeiten? Seine Antwort: "Ein Teil davon soll als Rücklage fest angelegt werden für eine mögliche Pflegesituation, der Rest ist Reserve für die Gestaltung der letzten Lebensjahre. Ich will das Leben so weit es geht genießen." Für welches Angebot er sich entschieden hat, verrät der Senior nicht, aber er ist zufrieden.

© SZ vom 25.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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