Leerstelle Arbeitsmarkt:Stille Kapitulation

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Die Koalition kann sich beim Thema Kündigungsschutz noch nicht zu einer echten Reform aufraffen.

Nikolaus Piper

In der Koalitionsvereinbarung von Union und SPD gab es eine große Leerstelle - den Arbeitsmarkt.

Die Positionen beider Seiten lagen einfach zu weit auseinander. Die CDU, weniger die CSU, wollte liberalisieren und den Kündigungsschutz lockern.

Die SPD dagegen hat auf der Suche nach sozialdemokratischer Identität eben diesen Schutz zum Tabu erklärt. Beider Ziele schlossen sich aus; da man aber zum Regieren verdammt war, wurde der Graben durch einen Formelkompromiss überdeckt: Bei Neueinstellungen dürfen die Arbeitgeber die Probezeit von sechs Monaten auf zwei Jahre ausdehnen. Zum Ausgleich wird die Möglichkeit beschnitten, Arbeitsverträge ohne Grund zu befristen.

Gefährliche Lösung

Die Regelung war von vorneherein unsinnig, denn sie verändert in der Substanz nichts, sondern macht die bisherige Praxis nur komplizierter und unehrlicher: Was früher Frist hieß, heißt jetzt Probezeit. Es ist klar, dass dieser Gegensatz bald Konsequenzen haben musste.

Jetzt ist es passiert. Franz Müntefering, der Vizekanzler und Arbeitsminister, erklärte kategorisch, er habe die Arbeit an dem Gesetzesvorhaben eingestellt, weil die Union in Wirklichkeit den Kündigungsschutz viel weiter einschränken wolle.

Auf den ersten Blick ist das für alle Beteiligten eine sehr bequeme Lösung. Da die so genannte Reform sowieso nichts gebracht hätte, kann man auch gleich beim alten Zustand bleiben. Auf den zweiten Blick ist das vermeintlich Bequeme für die große Koalition aber äußerst gefährlich.

Die Regierung würde damit auf einem der wichtigsten Reformfelder offen kapitulieren. Wenigstens in der öffentlichen Wahrnehmung wäre dies noch schlimmer als die heimliche Kapitulation, für die der bisherige Kompromiss steht. Daher war es durchaus konsequent, dass die Kanzlerin während der Haushaltsdebatte in Sachen Arbeitsmarkt auf Einhaltung des Koalitionsvertrages pochte.

In der Sache ist das alles deprimierend. Die große Koalition vergibt leichtfertig eine Chance, die Hürden ein wenig zu senken, die in Deutschland vor neuer Beschäftigung stehen. Niemand kann genau sagen, wie viele neue Jobs entstehen würden, wenn man den Kündigungsschutz weiter lockerte. Ein entsprechendes Experiment aus der Endphase der Ära Kohl hat die Regierung Schröder 1998 abgebrochen.

Andere Länder jedoch, zum Beispiel Dänemark, haben bewiesen, dass ein Kündigungsschutz nahe null durchaus mit hoher Beschäftigung und sozialem Schutz vereinbar ist.

Und einige der Ideen aus dem Wahlprogramm der CDU sind durchaus maßvoll und praktikabel - zum Beispiel der Vorschlag, dass sich Arbeitnehmer den Kündigungsschutz durch eine Abfindungsregelung im Arbeitsvertrag abkaufen lassen können. Auf diese Weise ließen sich lange und unkalkulierbare Verfahren vor dem Arbeitsgericht vermeiden.

Andererseits zeigt der Generalstreik in Frankreich, wie sehr das Thema Kündigungsschutz populistisch aufzuladen ist. Es scheint ja auch ein Widerspruch zu sein, die Einstellung von Arbeitnehmern dadurch zu fördern, dass man deren Entlassung erleichtert. Die Erkenntnis, dass es für alle Seiten vorteilhaft ist, wenn man das Kostenrisiko einer Neueinstellung für die Arbeitgeber begrenzt, ist komplex und in einer aufgeheizten Situation nur schwer zu vermitteln.

Dazu kommt das Insider-Problem: Der Kündigungsschutz schützt, wenn überhaupt, die, die einen Job haben, und sperrt alle anderen aus. Die Insider sind aber in der Regel besser organisiert als die, die erst noch auf einen Job hoffen.

Deshalb demonstrieren in Frankreich auch die besser gestellten Studenten und Gewerkschafter; die Ausgegrenzten aus den Vorstädten bleiben zu Hause. Und deshalb wird es in Deutschland wohl bei dem besagten Formelkompromiss bleiben oder beim Status quo. Der Unterschied ist ohnehin nicht sehr groß.

© SZ vom 30.03.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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