Leerstände in den USA:Erst Fitness, dann Halloween

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Mit der Pleite von Toys’R’Us mussten in den USA mehr als 800 Standorte geschlossen werden. (Foto: Hannah Mckay/Reuters)

Nach dem Aus von Toys 'R' Us könnte das saisonale Geschäft den stationären Einzelhandel in den USA retten. Zumal dort so viele Gewerbeflächen frei werden wie seit der Finanzkrise nicht mehr.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Hinten in der Ecke, da ordnet Trudy noch immer ein paar Regale. Es gibt nichts mehr zu ordnen, weil kaum noch was da ist - aber was soll sie sonst schon machen? Sie hat mehr als 15 Jahre lang die Regale eingeräumt in dieser Filiale der Spielzeugkette Toys 'R' Us im Süden von Los Angeles, deshalb tut sie das auch in den letzten Minuten ihres letzten Arbeitstages. Gleich wird es vorbei sein, die letzten der einst mehr als 800 US-Standorte sind an diesem Tag zum letzten Mal geöffnet, und in dem riesengroßen Geschäft sieht es aus wie nach einer Plünderei.

Alles musste raus, und weil alles billiger ist, wenn alles raus muss, sind so viele Leute da gewesen, wie seit Jahren nicht mehr. Viele trauern nun diesem Geschäft, in dem Erwachsene für ein paar Minuten zu Kindern werden durften, nostalgisch hinterher - auch jene, die seit Jahren nicht mehr da gewesen sind und die Sachen lieber im Internet bestellt haben. Die sehen sich nun um und tun so, als wären sie unendlich traurig, und dann schaufeln sie billiges Spielzeug in ihre Einkaufswagen. Die Verachtung, die Mitarbeiter an diesem letzten Arbeitstag für diese Schnäppchenjäger haben, sie ist absolut.

Gibt es ein treffenderes Bild für die Kombination aus Postmoderne, Spätkapitalismus und digitaler Revolution als jenes, auf dem Trudy ein Regal ordnet, das kein Mensch mehr geordnet braucht, und daneben Kollege John mit diesem Tischtennisschläger spielt, bei dem der Ball mit einer Schnur daran befestigt ist - neben einem Laufband, auf dem Kinder nach nirgendwo rennen und dabei fernsehen sollen?

Die leer stehenden Läden sind Mahnmale dafür, dass sich der Einzelhandel in der Krise befindet

All die Läden sind nun leer, sie stehen in Metropolen und mittelgroßen Städten der Vereinigten Staaten als Mahnmale dafür, dass der stationäre Einzelhandel in der Krise ist und wegen der immer größeren digitalen Konkurrenz vom Aussterben bedroht ist. Bekannte Marken wie der Videoverleih Blockbuster oder die Sportgeschäft-Kette Sports Authority sind bereits verschwunden, andere wie der Buchhändler Barnes and Noble oder die Videospiel-Kette Game Stop haben gewaltige Probleme.

Die Analysefirma Reis hat gerade einen Bericht veröffentlicht, demzufolge im zweiten Quartal alleine in 77 US-Metropolen eine Fläche von insgesamt 350 000 Quadratmetern frei geworden ist, so viel wie seit der Finanzkrise im Jahr 2009 nicht mehr. Insgesamt sind derzeit 10,2 Prozent aller Gewerbegebäude in den Vereinigten Staaten verwaist.

Nun wäre ein Ritter ganz schön, der auf einem weißen Ross heran reitet und Trudy und John von ihren sinnlosen Tätigkeiten befreit - und tatsächlich sind gleich mehrere dieser Retter in Sicht: die Kostümkette Halloween Spirit zum Beispiel oder die auf Festlichkeiten spezialisierte Kette Party City. Beide haben bereits angekündigt, in die verlassenen Toys-'R'-Us-Filialen einziehen zu wollen, jedoch nicht unbedingt permanent, sondern als so genannte Pop-up-Stores. So werden Läden genannt, die nur kurze Zeit wegen eines Ereignisses oder Trends geöffnet haben und dann wieder schließen. Trachtengeschäfte zur Wiesn-Zeit etwa oder Läden mit Christbaumschmuck vor Weihnachten.

"Die Größe eines Laden ist für uns gar nicht mal so wichtig", sagt Spirit-Halloween-Chef Steven Silverstein. Wichtiger sei der richtige Standort: "Die Leute müssen uns vom Auto aus leicht sehen können, weil sie sich dann auf dem Weg von der Arbeit nach Hause daran erinnern, dass sie noch ein Kostüm brauchen - und kurz anhalten und einkaufen." Die Standorte der ehemaligen Toys-'R'-Us-Filialen gelten als Filetstücke in den jeweiligen Städten: meist gut sichtbar an der Kreuzung von zwei Hauptverkehrsstraßen, meist in der Nähe anderer noch immer gut besuchter Geschäfte und Restaurants, ausgestattet mit ausreichend Parkplätzen.

Party City ist aus diesen Gründen ebenfalls interessiert und besitzt darüber hinaus den Vorteil, mit der Tochterfirma Halloween City bereits im Geschäft mit dem Grusel tätig zu sein. Das bedeutet: Der Konzern möchte in diesen Läden von August bis Ende Oktober die Kostüme für Halloween feilbieten und danach unter dem Namen Toy City bis Neujahr die Rolle von Toys 'R' Us als Spielzeugheimat übernehmen: "Ich glaube, dass dieses Format für Vermieter sehr attraktiv sein kann", sagt Party-City-Finanzchef Dan Sullivan: "Sie haben das ganze Jahr über Geschäfte, die Kunden anlocken - das sollte für andere potenzielle Mieter interessant sein."

Dieser saisonale Einzelhandel soll die Rettung für all die Gewerbeflächen sein - und es gibt die gar nicht mal so verrückte Idee, die Zeit von Januar bis Juli durch Pop-up-Fitnessstudios zu überbrücken. Das Konzept: Die Kunden sollen mit Jahresbeginn einen Sechs-Monats-Vertrag abschließen, in der Gewissheit, dass sie den Vorsatz zu Beginn des Jahres sowieso nicht länger durchhalten werden. Es heißt, dass vor allem Crossfit- und Yoga-Anbieter - also diejenigen Studios ohne teure und sperrige Gerätschaften - an der Kurzzeit-Miete im ersten Halbjahr interessiert seien. Dann käme wieder die Zeit für die Halloween- und dann Weihnachtsläden.

Zahlreiche Unternehmen wollen aber lieber Toys 'R' Us beerben. Die Warenhäuser Target und Walmart haben bereits angekündigt, die Spielzeug-Präsenz erhöhen zu wollen - und Amazon, für viele der größte Gegner des stationären Einzelhandels, hat nun verkündet, im Herbst einen an Toys 'R' Us angelehnten Weihnachtskatalog zu verteilen. Das Internet-Warenhaus wird immer wieder mal ziemlich analog, und es würde nicht verwundern, wenn Amazon einige frühere Toys-'R'-Us-Filialen anmieten würde.

Das wäre dann die Gelegenheit für Trudy und John, auch künftig irgendwo Regale einräumen zu können. Auf die Frage allerdings, ob sie das auch für Amazon tun würden, präsentieren sie einem formvollendet jene Geste, die international bekannt ist als Aufforderung, doch bitteschön zu verschwinden.

© SZ vom 23.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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