Lateinamerika:Alte Liebe

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Seit den Waldbränden im Amazonas steht die Regierung in Brasilien international in der Kritik. (Foto: Bruno Kelly/Reuters)

Die Zeiten sind nicht einfach. Dennoch entdecken deutsche Unternehmen die Region wieder, denn sie ist reich an Bodenschätzen und die Löhne sind niedrig.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Die Feuer im Amazonas brennen noch, und da soll man schon wieder über Geschäfte reden? Andreas Renschler glaubt, ja. "Der Erhalt des Regenwalds ist Teil unserer Bemühungen um globalen Klimaschutz, da sind sich Wirtschaft und Politik einig." Der deutsche Manager sitzt im Vorstand von Volkswagen und Traton, gleichzeitig aber ist er auch noch Vorsitzender des Lateinamerika-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft. In dem Gremium versammeln sich namhafte deutsche Unternehmen und machen sich dafür stark, die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Lateinamerika auszubauen. Gerade zum Beispiel kommt Renschler aus Natal, einer Stadt im nordbrasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Norte, wo bis Dienstag die Deutsch-Brasilianischen Wirtschaftstage stattfanden. Rund 1600 deutsche Unternehmen sind alleine in Brasilien tätig, São Paulo ist sogar einer der größten deutschen Industriestandorte weltweit außerhalb der Bundesrepublik. Betrachtet man ganz Lateinamerika, sind die Zahlen sogar noch größer: Mehr als 2000 deutsche Unternehmen sind in der Region aktiv.

Deutschland - einst einer der größten Investoren in Lateinamerika - ist heute zum Schlusslicht in der Region geworden. Nur 2,6 Prozent der deutschen Investitionen weltweit gehen heute noch in die Länder zwischen Feuerland und Rio Grande. Ähnlich sieht es bei den Exporten aus: Die Deutschen verkaufen nicht mal drei Prozent ihrer Waren über den Atlantik nach Lateinamerika. Länder wie die USA und vor allem China haben ihre Exporte und Investitionen dagegen enorm ausgebaut. Längst ist China für viele lateinamerikanische Staaten zum wichtigsten Handelspartner geworden, das weiß auch Renschler. "China investiert im ganz großen Stil in Lateinamerika", sagt er. "Die schönen Erinnerungen an alte Zeiten reichen nicht. Wenn die deutschen Unternehmen nicht den Anschluss verlieren wollen, müssen sie sich in der Region wieder mehr engagieren."

Dass es überhaupt zu einer Abkühlung der einst rosigen Beziehung gekommen ist, hat unterschiedliche Gründe. Es gibt hohe bürokratische Hürden in vielen Ländern der Region und zum Beispiel mit Brasilien noch nicht einmal ein Doppelbesteuerungsabkommen. Dazu kommt noch die Unsicherheit, gesellschaftlich genauso wie auch politisch und wirtschaftlich. Letztlich, glaubt Renschler, gäbe es aber noch eine weitere, viel banalere Erklärung: "Man hat sich einfach aus den Augen verloren", sagt Renschler. "Und jetzt ist es Zeit, sich wieder zu treffen."

Lateinamerika ist reich an Bodenschätzen, und die Lohnkosten sind gering

Denn gerade für deutsche Unternehmen gäbe es hervorragende Chancen, um gute Geschäfte zu machen, sagt eine kürzlich veröffentlichte Studie der Unternehmensberatung McKinsey. Länder wie Mexiko, Brasilien oder Argentinien würden zwar nicht so schnell wachsen wie asiatische Staaten wie Thailand, Malaysia oder China - am Ende seien aber in Lateinamerika die Gewinne höher, so die Autoren. Lateinamerika ist reich an Bodenschätzen und die Lohnkosten sind gering, gleichzeitig werden viele Länder der Region in den nächsten Jahrzehnten ebenfalls unter dem demografischen Wandel leiden, bis 2030 sieht die McKinsey-Studie darum eine Abnahme des Wirtschaftswachstums um 40 Prozent voraus. "Die einzige Möglichkeit, dem entgegenzuwirken, ist eine Steigerung der Produktivität", sagt Cornelius Baur, der für McKinsey die Studie geleitet hat. "Hier können deutsche Firmen mit ihren Produkten und ihrem Know-how ein guter Partner sein."

"Keine Frage, das Interesse auf beiden Seiten ist da", sagt auch Andreas Renschler vom Lateinamerika-Ausschuss. "Dazu muss man nicht bei null anfangen, im Gegenteil: Deutschland und Lateinamerika sind alte Freunde." Und tatsächlich: Das Interesse steigt. Für Lateinamerika rechnet der Deutsche Industrie- und Handelskammertag 2019 mit einem Exportwachstum deutscher Unternehmen von mehr als fünf Prozent. Firmen bauen ihre Standorte in der Region aus, dabei spielt auch die Abschottungspolitik der USA eine Rolle. Auf der Suche nach neuen Allianzen rückt Lateinamerika wieder in den Fokus, nicht nur bei Unternehmen, auch in der Politik. Außenminister Heiko Maas war Anfang des Jahres auf einer Reise durch Brasilien, Mexiko und Kolumbien. Und auch der Durchbruch bei den Verhandlungen zum Handelsabkommen zwischen EU und dem lateinamerikanischen Staatenbündnis Mercosur ist letztlich eine Folge dieses neu entfachten Interesses. Doch schon droht wieder die erste Krise, vor allem mit Deutschlands wichtigstem Handelspartner in Lateinamerika: Brasilien.

Als dort im Herbst vorigen Jahres der rechtsextreme Jair Bolsonaro die Wahlen gewann, jubelten viele Unternehmer. Bolsonaro war zwar mit homophoben und frauenfeindlichen Kommentaren im Wahlkampf aufgefallen, versprach aber auch wirtschaftliche Reformen, vor allem eine Neuordnung des ausufernden brasilianischen Rentensystems. Tatsächlich hat sich seitdem viel bewegt in der brasilianischen Wirtschaft, gleichzeitig wird der Widerstand gegen die neue brasilianische Regierung aber auch immer lauter. Indigene Gruppen und Minderheiten würden unter der Politik Bolsonaros leiden, vor allem aber die Umwelt, sagen Kritiker. Längst richten sich die Vorwürfe dabei auch gegen deutsche Unternehmen: Hunderte Pestizide seien zum Beispiel in den vergangenen Monaten in Brasilien neu zugelassen worden, sagen Umweltschützer, und BASF und Bayer würden dabei prächtig verdienen, dabei enthielten die Agrargifte Stoffe, die in der EU wegen ihrer Gefahr für Mensch und Natur verboten seien.

Seit den Waldbränden im Amazonas steht nun die Regierung in Brasilien international vollends in der Kritik. Ein Boykott brasilianischer Produkte und sogar ein Ausstieg aus den Verhandlungen zum EU-Mercosur-Abkommen wird gefordert. Für Renschler wäre das ein Fehler. "Nur wenn man zusammenarbeitet, kann man auch etwas erreichen", sagt er. Im Handelsvertrag zwischen EU und Mercosur würden sich die Länder schließlich unter anderem auch zum Pariser Klimaschutzabkommen und auf Regeln nachhaltiger Wirtschaft verpflichten. "Niemand hat etwas davon, wenn wir uns schmollend zurückziehen", sagt er.

© SZ vom 19.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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