Landwirtschaft:Doppelt ernten

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Ein Pilotprojekt zeigt, dass auf Äckern beides möglich ist: mehr Nahrungsmittel zu produzieren und mehr Energie für den Eigenbedarf. Bislang wurde immer über "Tank oder Teller" diskutiert. Hat sich das erledigt?

Von Isabella Hafner, Heggelbach

Unweit von Überlingen am Bodensee, weit aber von der nächsten zweispurigen Straße entfernt, in einem von Eiszeit-Moränen geformten Tal, stehen ein paar Häuschen, Ställe und eine Käserei beieinander. Hühner und Hunde flanieren dazwischen, am Ortseingang Schafe. Fünf Familien leben hier, einschließlich 50 Milchkühen mit Kälbern und 500 Schweinen. Rundherum 65 Hektar Dauergrünland und rund 100 Hektar Acker, die biodynamisch, nach den strengen Demeter-Richtlinien mit wechselnden Fruchtfolgen bewirtschaftet werden. Zwei Millionen Jahresumsatz machte die Hofgemeinschaft vergangenes Jahr, sagt der 62-jährige Thomas Schmid: "Mancher Mittelständler muss sich anstrengen, um so ein Volumen hinzubekommen."

Vier Wochen bevor Tschernobyl in die Luft flog, im Jahr 1986, ist der studierte Agrarwissenschaftler mit zwei weiteren, idealistischen "wilden Typen", wie er sagt, an diesen Fleck gezogen; um im Kreislauf der Natur zu wirtschaften, nicht jeder für sich, sondern gemeinsam. Gute Luft, Peace and Harmony - Bullerbü-Romantik.

Und dann entdeckt man, kurz vor dem Ortsschild mit der Aufschrift "Heggelbach", hinter ein paar Büschen: einen überdimensionalen Carport auf dem Feld. Verstecken die Ökoaussteiger darunter ihre Daimler? Nein, darunter wachsen Klee, Weizen, Sellerie und Kartoffeln. Schmid: "Futter, Getreide, Gemüse und Hackfrüchte" - jede Feldfrucht auf einer Bahn. Daneben, unter freiem Himmel, noch mal die gleichen Früchte zum Vergleich. Vor einem Jahr wurde die erste Ernte eingefahren.

Heggelbach - die wahr gewordene Utopie einer Landwirtschaft, die im Einklang mit der Natur funktioniert und zugleich wirtschaftlich ist? Schmid: "Vom ersten Tag an war unser Ziel: Niemand soll einem zweiten Job nachgehen müssen, und wir beuten die Natur nicht aus." Also haben sie den Kreislaufgedanken konsequent weitergedacht. Auch die Energie fürs Elektroauto, die Käserei, die Gemüse-Kühlräume, die Ferienwohnungen und alles für den Privatverbrauch sollten selbstgemacht sein.

Sollen die knappen Flächen für Nahrungsmittel genutzt werden - oder für Energie?

Im Jahr 2018 heißt das: Eine 720 Module große Agrophotovoltaik-Anlage (APV) teilt sich den Acker mit Nahrungsmitteln und beweist, dass sich Nachhaltigkeit und Hightech nicht im Wege stehen müssen. Am Boden wird Nahrung für Mensch und Tier geerntet, eine Etage höher Sonnenenergie. In fünf Metern Höhe tragen Stahlpfeiler Solarmodule. Sie sind in Reihen angeordnet, sodass es dazwischen auf den Acker regnen kann. APV-Resola (Agrophotovoltaik - Ressourceneffiziente Landnutzung) heißt das auf vier Jahre angelegte Pilotprojekt, für das das Freiburger Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) die Hofgemeinschaft ausgesucht hat. Stephan Schindele vom ISE sagt: "Es geht darum, fruchtbare Böden zu erhalten. Deshalb haben wir uns einen Demeterhof ausgesucht. Dort sind die Qualitätskriterien sehr hoch." Es ist das weltweit umfassendste Projekt, bei dem an einer APV-Anlage alle Faktoren gleichwertig unter Realbedingungen untersucht werden: Wirtschaftlichkeit, Technologie, Ökologie und gesellschaftliche Akzeptanz. Klappt die "harmonische Doppelnutzung", ist sie überhaupt sinnvoll? Schmid: "Wir einigten uns darauf, dass aus landwirtschaftlicher Sicht 80 Prozent des üblichen Ertrags ein Erfolg wären, 50 Prozent ein Misserfolg." Weitere APV-Forschungsanlagen gibt es in Deutschland an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf und der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden.

"Für uns war klar: Da müssen wir mitmachen", sagt der Landwirt. Früher bauten sie Raps an und pressten ihn zu Öl als Sprit für den Schlepper. "Es war aber ineffizient auf biologischem Highlevel. Das Öl war im Tank 80 Cent wert, in der Flasche 4,50 Euro." 2005 kam die erste 500-kw-Solaranlage aufs Dach, drei Jahre später bescherte ein Holzvergaser 350 000 Kilowattstunden Strom und Wärme. 2009 gab's den Deutschen Solarpreis - und Heggelbach war bekannt.

APV könnte das Potenzial haben, einen Konflikt zu entschärfen, der gerade in dicht besiedelten Ländern schwelt: Sollen die ohnedies knappen Äcker für Nahrungsmittel oder für Energie genutzt werden? 16 Prozent des deutschen Solarstroms erzeugen Landwirte, dreimal so viel wie die großen Energieunternehmen. Die Einspeisevergütungen für Photovoltaik-Freiflächenanlagen (PV-FFA) gibt es mittlerweile nur noch in benachteiligten Gebieten, entlang von Schienen, Autobahnen und auf schlechten Böden, um den Landnutzungskonflikt zu entschärfen. Gleichzeitig sinken die Kosten für die Anlagen kontinuierlich. Experten sind sich einig, in ein paar Jahren werden sie auch ohne finanzielle Förderung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) wirtschaftlich sein. Das wird die Konkurrenz zwischen Energie- und Landwirtschaft zusätzlich schüren.

28 Grad. An diesem Tag im August knallt die Sonne auf die Solarmodule in Heggelbach. Am Ende des Tages wird die Hofgemeinschaft mehr als 1100 Kilowattstunden geerntet haben. Schmid: "Das ist gut, wir brauchen gerade viel Strom, um die neuen Kartoffeln zu kühlen." Möglichst viel wollen sie selbst verbrauchen, denn für die Einspeisung ins Netz gibt es kaum noch Förderungen, und der Preis ist niedrig. Im Sommer deckt die Anlage fast den gesamten Bedarf der Gemeinschaft, im Winter stellt sie Strom meist zu spät zur Verfügung. Die Eigennutzung liegt derzeit bei 40 Prozent. Die Heggelbacher wollen sie auf bis zu 70 Prozent steigern, indem sie ihren Verbrauch optimieren - und mithilfe der neuen 150-kw-Batterie. Bisher nahmen die Elektrizitätswerke Schönau bei Lastspitzen den Überschuss ab. Zu Spitzenzeiten lieferten die Module im ersten Betriebsjahr beinahe 1300 Kilowattstunden - mehr als ein Drittel über dem deutschlandweiten Durchschnitt. Insgesamt kamen fast 250 000 Kilowattstunden zusammen.

Die Anlage liefert im Winter relativ viel Energie

Landwirt Schmid: "Wir waren wirklich überrascht. Im Vergleich zur unbedachten Fläche hatten wir zwar weniger Ertrag durch die Verschattung, aber es waren nur 15 bis 18 Prozent weniger als üblich. Klee wuchs sogar schneller." Agrarwissenschaftlerin Petra Högy von der Uni Hohenheim bestätigt: "Alle vier Kulturen konnten zwar gute und vermarktungsfähige, allerdings im Vergleich zur Freilandfläche weniger hohe Erträge erzielen." Die APV-Fläche und die Vergleichsfläche wurden gleichzeitig abgeerntet, "was für die Pflanzen der APV-Fläche teilweise zu früh war. Normalerweise hätte man Sellerie oder Kartoffeln noch zwei Wochen Reifezeit gegeben". Mit der Gesamtbilanz waren die Landwirte mehr als zufrieden. "Die ging durch die Decke", sagt Schmid, und Solarexperte Stephan Schindele fügt hinzu: "Die Flächennutzungseffizienz wurde um 60 Prozent erhöht."

Das gute Ergebnis hat nicht nur mit dem sonnenverwöhnten Standort im Süden Deutschlands zu tun, sondern auch mit den sogenannten bifazialen Solarmodulen, die das Fraunhofer-Institut für das Projekt nutzt. Schindele: "Diese halbtransparenten Glas-Glas-Module sind in großen Abständen aufgeständert, damit die Nutzpflanzen darunter gleichmäßig die für die Photosynthese relevante Strahlung abbekommen." Auf ihrer Rückseite wandeln sie Licht um - etwa das vom Schnee reflektierte - und liefern so im Winter bis zu 25 Prozent mehr Strom als gewöhnliche Module. Perfekt: ein wolkenfreier Wintertag. Landwirte können so auch um diese Jahreszeit ihre Felder ertragreich nutzen.

Die Bodensee-Gegend ist geprägt von sanften Hügeln und Obstplantagen, durch die Touristen radeln, während sie die beneiden, die hier wohnen. Das grün regierte Baden-Württemberg setzt alles daran, mehr "grüne" Energie zu gewinnen. Die Bundesregierung lag 2017 bei rund 33 Prozent, und peilt bis 2020 für Deutschland 35 Prozent und bis 2050 sogar 80 Prozent an. Baden-Württemberg lag vergangenes Jahr bei 27,5 Prozent. Trotzdem sind Windräder, Solar- oder Biogasanlagen nicht immer gerne gesehen in der Bevölkerung.

Das Institut für Technikfolgenabschätzung am Karlsruher Institut für Technologie hat Bürger-Werkstätten begleitend zum Pilotprojekt durchgeführt. Nach anfänglicher Skepsis überzeugte das Konzept die meisten wegen der Doppelnutzung. Werden APV-Anlagen in Zukunft allerdings irgendwo installiert, sollten den Teilnehmern zufolge die Rahmenbedingungen klar festgelegt werden. Alles im Einklang mit Natur, Gesellschaft und Landwirt - bloß keine überdachten Landschaften oder Landwirte, die die Nahrungsmittelproduktion unter den Modulen vernachlässigen. Landwirt Schmid: "Nachdem unsere Anlage aufgebaut war, schlug die Stimmung ins Positive um. Es ist eine Frage der Dimension, und man muss überlegen, wo man eine Anlage hinsetzt." An Stellen, die nicht weithin sichtbar sind. "Und", fügt er hinzu, "die mit Hagelnetzen überzogenen Obstplantagen sind auch nicht gerade schön."

Agrophotovoltaik erscheint verheißungsvoll, um Flächen effizienter zu nutzen und den Energiemix zu erweitern. Agrarwissenschaftlerin Petra Högy sagt allerdings: "Es sind mehrere Praxisjahre und Untersuchungen mit anderen Kulturen sinnvoll, um eindeutige Aussagen treffen zu können." Die Wissenschaftler beschäftigen sich bereits mit der Frage, wie sich die Technik auf den Obst-, Beeren-, Wein- und Hopfenanbau übertragen lässt. Schindele: "Zur Anpassung an die Klimaerhitzung werden viele Sonderkulturen bereits heute unter Folie angebaut, die wir durch organische Photovoltaik-Folie ersetzen könnten." Folie, die zusätzlich Solarstrom erzeugt.

Doch nicht nur in Deutschland, sondern auch in trockenen Klimazonen könnte APV punkten. Schindele sagt: "Wir haben Anfragen aus der Region Arabische Halbinsel. Dort muss die meiste Nahrung für die Bevölkerung importiert werden, deshalb soll Geld in die Hand genommen werden, um die Wüste zu begrünen." Agrophotovoltaik spendet dann Pflanzen Schatten, liefert aber auch Energie, um Grundwasser aufzubereiten und die landwirtschaftlichen Produkte gleich zu verarbeiten. Davon könnten unter anderem viele Schwellenländer profitieren "und abgelegene Dörfer dezentral noch ihren eigenen Strom produzieren", argumentiert der Solarexperte. So wie die Heggelbacher - in ihrem versteckten Bullerbü in Süddeutschland.

© SZ vom 09.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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