Künftiges Leben und Wohnen:"Die Zukunft ist urban"

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"Wir werden dann eine urbane Weltbevölkerung von etwa 60 Prozent haben": Der Wissenschaftler Horst Opaschowski entwirft Szenarien, wie das Leben in den Städten bald aussehen könnte.

Sebastian Hepp

Horst W. Opaschowski, Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen der Universität Hamburg, hat zum Thema Leben und Wohnen in der Zukunft grundlegende Ideen entwickelt. In einem Vortrag auf der Jahreshauptversammlung des Landesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) Bayern hat er diese einem fachkundigen Publikum präsentiert.

Architekten experimentieren schon lange mit neuen Wohnformen. Schon 1946 wollte Le Corbusier mit seiner Unité d'habitation in Marseille dem neuen Menschen ein Zuhause geben - als Stadt in der Stadt. (Foto: Foto: Florian Falterer)

"Stadtplanung und Wohnungsbau stehen im 21. Jahrhundert vor neuen Herausforderungen", eröffnete der Zukunftsforscher dem Publikum. Nach seiner Einschätzung zeichnen sich eine Reihe von Perspektiven ab, die das Leben in der Stadt der Zukunft grundlegend verändern werden. "Die Zukunft ist urban", lautet Opaschowskis erste These. "Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung in den Städten", so sein Ausblick ins Jahr 2030. "Wir werden dann eine urbane Weltbevölkerung von etwa 60 Prozent haben, was einer Verdoppelung seit den 1950er Jahren entspricht." Die Weltbevölkerung wandere und wachse, Deutschlands Bevölkerung hingegen altere und schrumpfe", so seine Prognose.

Rückgang und Wachstum

Auf die Städte in Deutschland komme eine schwierige Gratwanderung zu: Manche Regionen müssten mit massiven Bevölkerungsrückgängen rechnen, andere würden sich zu regelrechten Wachstumsregionen entwickeln. "Die Menschen wandern zum Wohlstand, vor allem die Pendler kehren wieder in die Stadt zurück", lautet These Nummer zwei des Professors. Erfahrungsgemäß ziehe es die Menschen dorthin, wo es Arbeit gebe. Opaschowski ist überzeugt, dass viele Bürger, die in den letzten Jahren die Stadt als Pendler verlassen hätten, deshalb als Stadtbewohner wieder zurückkehren würden. Insbesondere junge und gut ausgebildete Menschen werden nach seiner Prognose starke Binnenwanderungen auslösen und die Ungleichgewichte zwischen den Regionen verstärken.

"Wer es sich leisten kann, wohnt citynah - und spart Zeit." So gesehen werde die innerstädtische Lage wieder attraktiver. Obwohl Citywohnen erfahrungsgemäß teuer sei, würden dann auch "immer mehr Singles und Senioren in zentraler Lage wohnen wollen". Selbst an den Stadträndern würden Einfamilienhäuser zu Einpersonenhäusern. "Zugleich", so der Zukunftsforscher weiter, "wandeln sich die Wohnwünsche: Die Wohnflächen wachsen weiter, das heißt die Haushalte werden kleiner, aber die Wohnfläche pro Person wird größer." Dabei steige vor allem der Anteil der kleinen Ein- und Zweipersonenhaushalte auf über 75 Prozent.

Gleichzeitig sinke die Nachfrage nach Eigenheimen erheblich, weil es immer weniger junge Familien geben werde. "Die Wohneigentumsbildung verlagert sich auf den Geschosswohnungs- bau in den Städten und im städtischen Umland." Sinkende Geburtenraten werden nach Ansicht von Opaschowski fallende Immobilienpreise zur Folge haben. "Der kinderlose Städter verkauft sein Haus und zieht als Mieter in ein Haus mit Balkon oder Dachterrasse."

Weil sich das Eigentumsdenken verändere, werde das Wohn-Erleben neu definiert, führte er weiter aus. Wohnen wie im eigenen Haus, aber sich nicht wie ein Eigentümer um alles kümmern müssen sei künftig die Devise. "Die Menschen mieten und kaufen Lebensstile und nicht nur Wohnhäuser." Opaschowski sieht "Berliner Verhältnisse" auf uns zukommen, also einen Mietwohnungsanteil von fast 90 Prozent.

Deutschland, Mieterland

"Deutschland wird zum Mieterland. Mieter können sich mehr leisten im Leben. Eine Eigentumswohnung ist schließlich so teuer wie zwei Kinder", spitzt er zu. In Zukunft werde die Kluft zwischen Arm und Reich weiter zunehmen und damit auch die soziale Polarisierung, lautet die These Nummer fünf des Hamburger Professors. "Gering Qualifizierte blieben weitgehend arbeits- und chancenlos, mit einer hierarchisierten Spirale nach unten: Erst kommen die Deutschen, dann die EU-Bürger, danach die Spätaussiedler und ganz zuletzt die Migranten aus anderen Kulturen."

Die soziale Polarisierung in den Städten verstärke sich, weil sich dort die "fünf A's" (Arme, Alte, Arbeitslose, Ausländer und Alleinstehende) konzentrieren würden. Für die Zukunft sei zu befürchten, dass sich Parallelwelten bilden. "Ein Großteil der künftigen Integrationsprobleme", so Opaschowski, "werden im Kern Genera Generationskonflikte sein: Alte Einheimische auf der einen, junge Zuwanderer auf der anderen Seite." Als neuer Standortfaktor komme in Zukunft die örtliche Toleranz für ethnische Minderheiten hinzu.

Die Entwicklung verspricht kaum Zweisamkeit

"Im Jahr 2030 wird die Mehrheit der über 60-Jährigen nicht verheiratet, sondern ledig, verwitwet oder geschieden sein", leitete er auf die erwartete statistische Entwicklung über. "Die meisten von ihnen werden in Ein-Personen-Haushalten leben." Deshalb seien sie - falls sie kinder- und enkellos bleiben würden - auf den Auf- und Ausbau einer professionellen Infrastruktur von Hilfe- und Pflegeleistungen angewiesen. "Die Immobilienbranche und die Wohnungsunternehmen würden deshalb in Zukunft auch ein Quartiersmanagement anbieten, sagte Opaschowski. Dieses werde für die wachsende Anzahl alter Menschen vor allem soziale Dienste leisten. Dem Wohnungsmanagement schreibt er eine Wirkung als "sozialer Kitt" zu, zu dem auch Altenbetreuung, Mietschuldenberatung, Beschäftigungsprojekte oder Tauschringe gehörten.

Nicht weniger optimistisch ist er, was die Nachbarschaftshilfe angeht: Hilfeleistungen durch Behörden, Vereine und Verbände hätten künftig "eine viel geringere Bedeutung als die spontane Hilfsbereitschaft in den eigenen vier Wänden, vor der Haustür und um die Ecke". Auf eine Gesellschaft mit immer älter werdenden Menschen, so der Professor weiter, gäben in Zukunft vor allem generationsübergreifende Wohnkonzepte konkrete Antworten. Dabei gehe es auch um Alternativen zu den traditionellen Pflegeheimen. Beim Vergleich der zehn größten Städte Deutschlands kommt Opaschowski zu folgenden Ergebnissen: München sei die gastfreundlichste, Berlin die kulturreichste, Hamburg die schönste, Köln wiederum die toleranteste, Stuttgart die wohlhabendste und Bremen die weltoffenste der Metropolen.

© SZ vom 6.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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