Kristina Vogel:Mit Lebensmut und ohne Tränen

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(Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Sie war zwei Mal Olympiasiegerin, elf Mal Weltmeisterin: Doch die größte Herausforderung hat für die Radsportlerin, die sich im Training schwer verletzte, erst begonnen.

Von Barbara Klimke

Am dritten Advent hat Wimbledon-Siegerin Angelique Kerber in Baden-Baden einen Preis entgegengenommen. Sie war gerührt, dankte freundlich und erklärte dem Publikum, dass die Bühne bei der Wahl zur Sportlerin des Jahres 2018 weniger ihr zustehe als Kristina Vogel, die unten im Rollstuhl im Publikum saß: "Sie hat so viel geleistet in diesem Jahr, hat so viel gekämpft und Mut und Willensstärke bewiesen." Was ist dagegen schon ein Wimbledonsieg, bei dem man gegen gelbe Filzbälle drischt?

Kristina Vogel, 28, ist zweimalige Bahnrad-Olympiasiegerin, im März gewann sie im Sprint den elften Weltmeistertitel ihrer Karriere. Keine Radsportathletin im Velodrom hat jemals mehr erreicht. Doch die größte Herausforderung ihres Lebens hat gerade erst begonnen. Sie wird unter anderem darin bestehen, einen Spaghettitopf vom Herd zu nehmen, wie sie erzählte, mit dem Rollstuhl die Treppen hinab zu fahren und den Alltag so zu meistern, dass sie möglichst auf Hilfe verzichten kann.

Ein halbes Jahr hat sie im Krankenhaus verbracht, seit sie am 26. Juni beim Training in Cottbus mit einem niederländischen Athleten kollidierte und in vollem Tempo auf die Betonbahn krachte. An den Unglückshergang, so sagte sie im September bei ihrer ersten Pressekonferenz im Unfallkrankenhaus in Berlin, könne sie sich nicht erinnern, aber sie ahnte die Schwere der Verletzung bereits, als sie auf der Bahn lag und nicht spürte, wie die herbeigeeilten Helfer ihr die Schuhe aufschnürten und von den Füßen streiften. Das Rückenmark ist am siebten Brustwirbel durchtrennt. Sie wurde mehrmals operiert und ist querschnittsgelähmt.

Trotz ihrer Lähmung sagt die Athletin: "Ich bin immer noch ich. Nur anders."

Und doch, erklärte sie nüchtern und gefasst, habe sie "verdammt Glück" gehabt, weil sie die Hände bewegen könne; ein Halswirbel war auch gebrochen, es hätte sie "viel schlimmer treffen können". Kein Mitleid ließ sie zu, keine Tränen und auch keine Frage nach dem Warum. Weil Grübeln sie nicht weiterbringt. "Ich bin da. Ich bin immer noch ich. Nur anders", sagte sie, und mit solchen Sätzen dürfte sie vielen, die Ähnliches durchleiden, Hoffnung, Zuversicht und vielleicht sogar eine Stimme gegeben haben.

Zweite ist Kristina Vogel bei der Wahl in Baden-Baden geworden mit nur wenigen Stimmen hinter Kerber. Als sie zur Bühne rollte unter dem Beifall der Athleten, haben viele Kollegen, die Skispringer, Turner, Eishockeyspieler wohl auch einen Teil von sich selbst in ihr erkannt: Das Wissen, dass die Risiken des Hochleistungssport trotz aller Vorsicht nie restlos kalkulierbar sind. "Wenn mir mein Unfall etwas gezeigt hat, dann, dass man jeden Tag genießen soll", gab sie ihnen mit auf den Weg und erzählte, dass sie an ihrer Fitness gearbeitet habe. Denn um solch einen Gala-Abend zu überstehen, gehöre mehr, "als nur zu sitzen und im Rollstuhl zu fahren".

Im Krankenhaus erstellte sie eine Liste mit Dingen, die sie irgendwann unbedingt ausprobieren will. Darunter: ein Tandem-Fallschirmsprung. Das ist es, was Angelique Kerber meinte: Man hofft, dass man in schwierigen Lagen Kristina Vogels Daseinsfreude haben würde.

© SZ vom 31.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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