Krise im Baltikum:Der tiefe Fall der Superstars

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Lettland, Estland, Litauen - die baltischen Staaten waren Musterschüler der freien Marktwirtschaft. Doch in der Krise droht nun der Ruin.

A. Mühlauer

Es ist nicht lange her, da galt im Baltikum das Versprechen immerwährenden Wachstums. Wer nach Estland, Lettland oder Litauen kam, fand die Traumkulisse einer freien Marktwirtschaft vor, in der scheinbar keine Grenzen galten. Nach fast 50 Jahren staatlicher Planung regierte das Streben nach Geld und Glanz. Die Wirtschaft wuchs, die Bürger konsumierten - und stellten ihren Reichtum offen zur Schau. Noch heute erzählt man sich in Lettland die Geschichte des Nabobs Valerij Kargin, der gemeinsam mit einem Partner die Parex-Bank besaß und sich gern in einer Maybach-Limousine durch die Stadt chauffieren ließ. Doch diese Zeiten sind vorbei.

In der lettischen Hauptstadt Riga schauen die Menschen pessimistisch in die Zukunft: Die Wirtschaft ist um 18 Prozent geschrumpft. (Foto: Foto: ddp)

Denn der Wirtschaftseinbruch hat vor allem Lettland tief in den Abgrund gerissen. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres schrumpfte die Wirtschaftsleistung des Landes um 18 Prozent - so heftig traf es noch kein anderes EU-Land. Diese Woche scheiterte die lettische Regierung mit dem Versuch, Staatsanleihen zu verkaufen. Die Anleger misstrauen dem krisengeschüttelten Staat. Um die Haushaltskasse wieder zu füllen, hat die Regierung die Steuern erhöht. Zusammen mit Notkrediten aus dem Ausland will sie einen Staatsbankrott abwenden.

Von der Krise fast hinweggefegt

"Jahrelang waren baltische Staaten wie Lettland die Superstars, jetzt hat sie eine Krise in Not gebracht, die sie nicht verschuldet haben", sagt Friedrich Heinemann, Ökonom am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Ein Faktor dabei wurde, so Heinemann, lange außer Acht gelassen: der Einbruch vieler Währungen. Man sah zwar, dass ein Staat wie Island von der Krise fast hinweggefegt wurde. Doch das Interesse deutscher Anleger galt vor allem den Einlagen, die sie bei der Kaupthing Bank hatten, nicht so sehr dem Niedergang der isländischen Krone. Wie es aussieht, trifft die Währungskrise nun aber immer mehr Staaten in Mittel- und Osteuropa.

Ungarn und Lettland etwa mussten bereits den Internationalen Währungsfonds um Hilfe bitten, weil sie ihre Schulden im Ausland nur noch mit Mühe bedienen können und Anleger in großem Stil Geld abziehen. Dieser Tage verhandelt Lettland über neue Hilfen. Sollte das schiefgehen, warnt Gillian Edgeworth, Volkswirtin bei der Deutschen Bank in London, "kann sich das Land nicht mehr finanzieren". Damit es so weit nicht kommt, glaubt Edgeworth, werden die EU-Staaten sich gegenseitig mit Milliarden stützen.

Privatanleger trifft es hart

"Solche Beistandskredite sind das beste Mittel, um zu helfen", meint auch Ökonom Heinemann. Nur so könne eine Abwertung der Währung verhindert werden. Gelingt dies nicht, hat nicht nur Lettland ein Problem. Auch viele Banken wären bedroht. Wenn die Währung, der Lat, an Wert verliert, verteuert dies in gleichem Maß die Zins- und Tilgungszahlungen an ausländische Geldhäuser, die ihre Kredite in Dollar oder Euro gewährt haben.

Auch die lettischen Privatanleger träfe eine Währungsabwertung hart. Schon heute kann jeder dritte Immobilienkäufer in Lettland seine Kredite nicht mehr bedienen. Viele Familien haben sich übernommen, weil sie das Zehnfache ihres Jahreseinkommens aufgenommen haben. Kredite bis 2000 Euro bekam man kurz und schnell per SMS. Die Wut wächst. Schon im Januar entlud sich der Volkszorn und zwang die Regierung zum Rücktritt. Nun liegt es an der neuen Koalition, weiteres Geld einzusammeln. Ach ja, die lettische Parex-Bank wurde verstaatlicht. Millionär Kargin bekam dafür die symbolische Summe von einem Lat - das sind umgerechnet anderthalb Euro.

© SZ vom 05.06.2009/lauc/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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