Kriminalfall Ruzicka:Konzernanwalt als "Anonymus"

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Wer brachte als "Anonymus" mit einer Strafanzeige den Kriminalfall Ruzicka ins Rollen? Kurz vor einem möglichen Prozess stellt sich nun heraus, dass der Werbekonzern Aegis Media selbst seinen Ex-Geschäftsführer Ruzicka der Untreue bezichtigt hatte.

Klaus Ott

Der Verfasser der neunseitigen Anzeige, die am 5. Juli 2005 bei der Staatsanwaltschaft in Wiesbaden eingegangen war, hatte sich sehr viel Mühe gemacht. Der "Anonymus", wie er sich nannte, schilderte in zahlreichen Details, wie der Werbekonzern Aegis Media angeblich von einem seiner eigenen Geschäftsführer, von Alexander Ruzicka, auf kriminelle Art und Weise ausgenommen werde. Die Anzeige richtete sich noch gegen weitere Aegis-Manager und mehrere Geschäftspartner, und ihnen auch der hessische CDU-Landtagsabgeordnete Volker Hoff. Der war damals noch Mitbetreiber der Werbeagentur ZHP, aus der er später ausstieg, als ihn Regierungschef Roland Koch zum Europaminister ernannte.

Insgesamt acht Personen wurden in der Anzeige diverser Delikte verdächtigt: Untreue, Unterschlagung, aktive und passive Bestechung, Geldwäsche, gegebenenfalls Bildung einer kriminellen Vereinigung. Über ein Geflecht von Scheinfirmen wie Camaco und Watson seien beim Handel mit TV-Spots womöglich etliche Millionen Euro abgezweigt worden. Die Staatsanwaltschaft solle die Geldflüsse auf den Konten dieser Firmen überprüfen und die Steuerfahnung einschalten. Auch empfehle sich eine Telefonüberwachung. Diverse Rufnummern von Ruzicka und weiteren Personen waren vorsorglich schon aufgelistet.

Adressiert war das Dokument an den Chef der Abteilung Wirtschaftskriminalität bei den Wiesbadener Strafverfolgern, Oberstaatsanwalt Achim Thoma. Für den war der Verfasser der Anzeige freilich gar kein Unbekannter. Ein Anwalt von Aegis Media hatte nach eigenen Angaben der Staatsanwaltschaft erst mündlich und dann schriftlich die Hinweise auf die vermuteten Vergehen gegeben. Daraus ist inzwischen das derzeit größte Ermittlungsverfahren in der deutschen Medienbranche geworden. Ruzicka, einst Geschäftsführer Zentraleuropa und Afrika bei Aegis Media, und mehrere Kompagnons sollen insgesamt mehr als 50 Millionen Euro veruntreut haben. Seit Oktober 2006 sitzt Ruzicka in Untersuchungshaft. Er bestreitet, Geld in die eigene Tasche gewirtschaftet zu haben.

Entscheidung bis Mitte November

Seit Juli 2007 liegt eine dicke Anklage gegen den ehemaligen Aegis-Manager und drei weitere Beschuldigte beim Landgericht Wiesbaden. Das will bis Mitte November entscheiden, ob es zu einem Verfahren kommt. Prozessbeginn könnte Anfang 2008 sein, also noch vor der hessischen Landtagswahl Ende Januar. Dann könnte auch eine mögliche Verwicklung von Minister Hoff in die Affäre zur Sprache kommen. Ein Teil des nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft beiseite geschafften Geldes soll über die Agentur ZHP geflossen sein. Hoff erwidert, er habe sich nichts zuschulden kommen lassen. Gegen ihn wird nicht ermittelt.

Der Konzern Aegis Media mit Stammsitz in London und der deutschen Zentrale in Wiesbaden zählt bei der Vermittlung von Werbeaufträgen aus Industrie und Wirtschaft an Fernsehsender, Zeitungen und andere Medien zu den Marktführern in Europa. Allein in Deutschland setzt der Konzern jährlich mehr als drei Milliarden Euro um.

Anlass für die Strafanzeige sei Ruzickas Lebenswandel gewesen, sagt der Aegis-Anwalt, der das Schriftstück verfasste. Im Unternehmen sei aufgefallen, dass der Zentraleuropa-Chef einen immer kostspieligeren Lebenswandel gepflegt habe, der mit seinem Managergehalt nicht mehr finanzierbar gewesen sei. Bei internen Recherchen sei der Verdacht von Straftaten aufgekommen. Aegis habe den Sachverhalt aber selbst nicht aufklären können und sich deshalb an die Staatsanwaltschaft gewandt. Unter anderem um Unruhe in der Branche und im Unternehmen zu vermeiden, habe man die Anzeige nicht unter den Namen Aegis, sondern als "Anonymus" erstattet.

Geheimhaltung nicht mehr nötig

Aegis Media erklärte, auf Empfehlung der Staatsanwaltschaft habe man eine "strikte Vertraulichkeit" für die Dauer des Verfahrens vereinbart, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Auch deshalb sei die Anzeige nicht unter dem Namen Aegis erstattet worden. Nachdem ein Prozess kurz bevorstehe, sei die Geheimhaltung nicht mehr erforderlich. Der Konzern sehe sich durch das Ermittlungsergebnis in seiner Vorgehensweise bestätigt.

Bis das Verfahren nach der Strafanzeige richtig in Gang kam, brauchten die Wiesbadener Strafverfolger allerdings fast ein ganzes Jahr. Offenbar ging die Staatsanwaltschaft erst ab Mitte 2006 den Vorwürfen entschlossen nach. Dabei hatte der "Anonymus" viel zusammengetragen. Auf den neun Seiten wurden nicht nur die teuren Hobbys geschildert, die Ruzicka angeblich pflege: Autos der Luxusklasse, umfangreicher Immobilienbesitz in Deutschland, Haus und Safarilodge in Südafrika, kostspielige Reisen, Großwildjagden, Uhren und Kunstwerke.

In der Anzeige wird auch geschildert, wie Ruzicka und dessen Kompagnons mit getarnten Gutschriften und anderen Tricks sowie der Hilfe von Geschäftspartnern in großem Stil und systematisch Erlöse von TV-Spots auf "eigene Rechnung" vermarktet hätten. Zwei Schaubilder über den vermeintlichen Weg des Geldes waren beigefügt. Ruzicke habe viel Einflss, schrieb der Anzeigeerstatter. Ein Anruf von ihm genüge, um Werbezeiten umzusteuern. Er sei seit mehr als 20 Jahren in diesem Geschäft und kenne alle schmutzigen Tricks. Der "Anonymus", also der Aegis-Anwalt, bat die Staatsanwaltschaft um entschiedenes Handeln, um Schaden für Aegis und die Branche zu verhindern.

Redseliger Ruzicka

Die Staatsanwaltschaft äußert sich nicht zur Strafanzeige und den Details ihres Ermittlungsverfahrens. Dafür ist Ruzicka umso redseliger. Bei zahlreichen Vernehmungen und zuletzt in mehreren Interviews hat er sämtliche Vorwürfe zurückgewiesen. Er habe kein Geld veruntreut, sondern immer zum Wohle von Aegis Media gehandelt. Ruzicka war inzwischen auch davon ausgegangen, dass die Anzeige gegen ihn aus dem eigenen Unternehmen gekommen sei. So äußerte er sich in einem Interview, bevor der "Anonymus" jetzt öffentlich bekannt wurde.

Ruzicka hat eine ganz andere Version für das Vorgehen gegen ihn. Ein anderer Aegis-Geschäftsführer habe offensichtlich seinen Job haben wollen. Ob die Justiz das auch so sieht, bleibt abzuwarten. Das Oberlandesgericht Frankfurt hat vor kurzem entschieden, Ruzicka müsse weiter in Untersuchungshaft bleiben. Es bestehe Fluchtgefahr. Die Staatsanwaltschaft hatte auf Ruzickas angebliche "zweite Heimat" in Südafrika verwiesen.

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