Korruptionsprozess:Ex-Manager kommen mit Bewährung davon - Siemens muss 38 Millionen Euro zahlen

Lesezeit: 3 min

Die großen Medien hatten sich in Darmstadt versammelt, als dort der erste Prozess über eine internationale Schmiergeldaffäre von Siemens endete - mit glimpflichen Urteilen für die beiden Angeklagten und einer saftigen Strafe für den Weltkonzern.

Klaus Ott, Darmstadt

Mit Verspätung, kurz vor zehn Uhr, gibt der Vorsitzende Richter Rainer Buss das Strafmaß bekannt.

Andreas Kley, ehemaliger Finanzchef der Kraftwerkssparte, erhält 2 Jahre Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen Bestechung und Untreue. Außerdem muss er 400.000 Euro an gemeinnützige Organisationen zahlen, davon 50.000 Euro an die Antikorruptionsinitivative Transparency International.

Der Mitangeklagte, der ehemalige Siemens-Mitarbeiter Horst V., kommt mit neun Monaten auf Bewährung davon, wegen Beihilfe zur Bestechung.

Siemens muss 38 Millionen Euro an den Staat zahlen - als "Wertersatz", sozusagen eine Wertabschöpfung aus dem illegalen Geschäft. Der Konzern kündigte wenige Minuten nach dem Urteil an, in Revision gehen zu wollen.

Beide Angeklagten werden für schuldig befunden, zwischen 1999 und 2002 zwei Topmanager des italienischen Energiekonzerns Enel mit sechs Millionen Euro bestochen zu haben, um so Großaufträge für Gasturbinen in Höhe von 338 Millionen Euro zu erhalten. Das Schmiergeld, so war es während des Prozesses zu hören, soll aus schwarzen Kassen gestammt haben.

Spektakulärer Wirtschaftskrimi

Eine Dreiviertelstunde länger als vorgesehen müssen die beiden Angeklagten an diesem Montag auf ihr Urteil warten. Erst erweist sich der urspüngliche Sitzungssaal 4 als zu klein für den großen Andrang. Das Gericht zieht in Saal 3 um. Dort müssen die beiden Beschuldigten das obligatorische Blitzlichtgewitter ein zweites Mal über sich ergehen lassen.

Kley wendet den Fotografen und Kameraleuten den Rücken zu und nutzt den Umstand aus, dass er aus dem Zuschauerraum nicht abgelichtet werden darf. Die Prozessbeteiligten und das Publikum sind in Saal 3 durch eine Glasfront voneinander getrennt. Die Fotografen halten sich vorne auf, an der Richterbank; von hinten, aus dem Zuschauerraum, drückt keiner auf den Auslöser. Ein Saal mit Glasfront, das wirkt so, als werde hier über Mord und Totschlag verhandelt, als müsse das Publikum vor Schwerkriminellen geschützt werden.

Es ist aber nur ein Wirtschaftskrimi, ein sehr spektakulärer allerdings, bei dem das Gericht vor dem Urteil noch einmal kurz in die Beweisaufnahme einsteigen muss. Der Angeklagte Horst V. nutzt die Gelegenheit zu einem nochmaligen Schlusswort. Er bitte um ein gerechtes und mildes Urteil, wenig später weiß er Bescheid.

Weitere Prozesse um Schmiergeld und schwarze Kassen

Diesem Siemens-Verfahren in Darmstadt werden wohl bald weitere folgen: Schwarze Kassen, Schmiergeld, darum und um noch viel mehr dürfte es in den nächsten Jahren auch in zahlreichen weiteren Prozessen gehen, die vermutlich in Bayern bevorstehen.

Vorstände, ehemalige Vorstände, Spartenvorstände, weitere Führungskräfte, ein ehemaliger Aufsichtsratschef, die Liste der Beschuldigten ist lang. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt wegen weltweiter Bestechung in der Sparte Telekommunikation, die Nürnberger Staatsanwaltschaft wegen der heimlichen Finanzierung der Arbeitnehmerorganisation AUB, einer Kampftruppe gegen die IG Metall.

In München sollen es schon mehrere Dutzend Beschuldigte sein, die prominentesten von ihnen sind der ehemalige Finanzvorstand Heinz-Jochen Neubürger und der frühere Zentralvorstand Thomas Ganswindt. In Nürnberg steht eine Handvoll Manager unter Verdacht, bis hin zum bisherigen Vorstand Johannes Feldmayer. Sie alle dürften nach dem Urteil in Darmstadt nun bangen vor dem, was auf sie zukommt.

Die Justiz hat die Messlatte bei Siemens hoch gehängt. Vor allem die Chefs, so sie denn im Bilde waren, sollen für die vielen Verfehlungen büßen; nicht nur diejenigen, die gewissermaßen Handlager waren und im Auftrag des Konzerns schwarze Kassen anlegten, Millionenbeträge in Koffern durch die Welt transportierten, falsche Rechnungen schrieben, und was sonst so alles bei Schmiergeldzahlungen gang und gäbe ist.

Die "schützende Hand"

Das Amtsgericht München hat schon frühzeitig in einem Haftbefehl für einen Spitzenmanager notiert, dieser Beschuldigte sei zwar über die Details der schwarzen Kassen und Schmiergeldzahlungen nicht informiert gewesen. Er habe aber gewusst, dass ein langjähriger Mitarbeiter eine entsprechende "Sonderaufgabe" übernommen habe.

Der Spitzenmanager habe aber seine "schützende Hand" über die Täter gehalten, er habe die Korruption auf diese Weise gleichsam zur "Chefsache" gemacht und so kriminelle Vorgänge dieses Ausmaßes überhaupt erst ermöglicht. Die schützende Hand des Spitzenmanagers sei für die Korruption geradezu unumgänglich gewesen.

So hat das Amtsgericht München einen Haftbefehl begründet, und so ließen sich später womöglich auch Haftstrafen rechtfertigen. Das ist keine tolle Perspektive für Feldmayer, Neubürger oder Ganswindt und viele andere. Die Justiz meint es offenbar ernst, nicht nur in Darmstadt. Ein erstes Urteil liegt vor, ein Einzelfall, der in Italien spielt. Die systematische Aufarbeitung der systematischen Korruption bei Siemens steht erst noch bevor.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: