Als Konzernchef bei Siemens hat Heinrich von Pierer viel politische Prominenz getroffen aus aller Welt, und er hat hehre Aufsätze über die Moral in der Wirtschaft verfasst. Doch während Mr. Siemens, wie er teilweise immer noch genannt wird, den Staatsmann mimte, ist ihm die Führung seines Unternehmens offenbar mehr und mehr entglitten.
Ein "bestechungsfreundliches Klima" habe dort geherrscht, kritisierte das Landgericht Darmstadt jetzt am Beispiel der Kraftwerkssparte. Das Darmstädter Urteil gegen zwei frühere Manager dieses Bereichs wegen Schmiergeldzahlungen in Italien ist ein weiteres Desaster für Siemens. Eines Tages könnten heutige Vorstände und Pierer wegen Untreue sogar selbst auf der Anklagebank sitzen.
Da hat der ehemalige Finanzchef der Kraftwerksparte, Andreas Kley, Korruptionsdelikte gestanden, und Siemens weiß nach Angaben der Staatsanwaltschaft seit weit über einem Jahr Bescheid. Doch die mehr als 1,7 Millionen Euro, die Kley vor knapp drei Jahren bei seinem Ausscheiden als Abfindung bekommen hat, darf er behalten. Einfach so, als ob nichts geschehen wäre.
Pierers Aufgabe als Aufsichtsratschef wäre es gewesen, sich gründlich zu informieren, sich der Sache anzunehmen, und den Abfindungsvertrag mit Kley zu stornieren, den er laut Gericht zuvor als Vorstandsvorsitzender selbst unterschrieben hatte.
Warum Pierer und der Vorstand nicht gehandelt haben, bedarf der Aufklärung. Sollte vielleicht verhindert werden, dass Kley andere Spitzenmanager mit in den Skandal hineinreißt? War der Millionenbetrag - nicht bei der Vertragsunterzeichnung, aber später - gar eine Art Schweigegeld? Bislang weist Siemens solche Fragen stets empört zurück, aber das genügt nicht mehr. Pierer steht schließlich nicht unter Denkmalschutz.