Korruption bei Siemens:Der erste Top-Manager packt aus

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Nach sechs Geständnissen im Siemens-Skandal verdichten sich die Spuren in die Konzernzentrale.

Klaus Ott

Drei Wochen lang hat Michael Kutschenreuter geschwiegen, obwohl er über die schwarzen Kassen und Schmiergeldzahlungen bei der Siemens AG sehr viel wissen dürfte. Vermutlich weit mehr, als andere Beschuldigte. Kutschenreuter, 52, ist der bislang einzige Top-Manager, der in Untersuchungshaft sitzt; er war Finanzvorstand in der Sparte Telekommunikation (Com).

Sechs Geständnisse

Andere Siemens-Leute, die ins Gefängnis kamen, haben seit der Großrazzia der Münchner Staatsanwaltschaft Mitte November der Reihe nach ausgesagt. Sechs Geständnisse liegen nach Informationen der Süddeutschen Zeitung inzwischen vor. Nun packt auch Kutschenreuter aus. Ende dieser Woche hat er angefangen, zu plaudern; nächste Woche gehen die Vernehmungen weiter. Das könnte die Fahnder auf neue, heiße Spuren in die Konzernspitze führen.

"Herr Kutschenreuter sagt umfassend aus", erklärten dessen Anwälte, Leonard Walischewski und Thilo Pfordte, am Freitagabend gegenüber der SZ. "Unser Mandant orientiert sich an den Vorgaben des Vorstandsvorsitzenden Kleinfeld, der eine schonungslose Aufklärung gefordert und angekündigt hat."

Details nannten die beiden Anwälte nicht. Konzernchef Klaus Kleinfeld hatte gemeinsam mit seinem Vorgänger, dem heutigen Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer, vor zwei Wochen einen Brief an die Belegschaft geschrieben. "Wir müssen kompromisslos aufräumen", teilten Kleinfeld und Pierer darin mit.

Mehr als 30 Jahre bei Siemens

Ein Geständnis von Kutschenreuter, der seit 1974 bei Siemens nach und nach Karriere gemacht hat, könnte dabei sehr hilfreich sein. Ein anderer Beschuldigter hat ausgesagt, der Top-Manager habe die Verwaltung der schwarzen Kassen und die daraus vorgenommenen Provisionszahlungen - das sei eine Umschreibung für Korruption gewesen - bei Siemens-Com und bei der Vorgängergesellschaft IC Networks (ICN) organisiert beziehungsweise delegiert.

Auch sei Kutschenreuter von einer Führungskraft der Abteilung Compliance gewarnt worden, als schwarze Kassen in Österreich aufzufliegen drohten, sagte der langjährige Angestellte Reinhard S. bei seinem Geständnis. S. ist eine Schlüsselfigur in dem Skandal. In der Abteilung Compliance sind die Korruptions-Bekämpfer bei Siemens angesiedelt. Sollte Kutschenreuter die Vorwürfe gegen diese Abteilung bestätigen, dann könnte sich der Skandal dramatisch ausweiten und ein Erdbeben in der Konzernzentrale auslösen.

Damit nicht genug. Bei ICN saß Kutschenreuter mit Thomas Ganswindt im Vorstand. Ganswindt war dort der Chef und rückte später sogar in den Zentralvorstand der Siemens AG auf, den innersten Machtzirkel des Konzerns, ehe er das Unternehmen vor zehn Wochen verließ. Ganswindt ist bereits schwer belastet worden - auch er von Reinhard S., dem früheren Angestellten, der schwarze Kassen in Liechtenstein und in der Schweiz eingerichtet hatte, nachdem das Modell Österreich nicht mehr funktioniert hatte.

S. hat bei seinem Geständnis ausgesagt, er habe Ganswindt über Schmiergeldzahlungen informiert und konkrete Summen genannt: 10 Millionen Euro im Jahr in die Staaten der ehemaligen Sowjetunion, 15 Millionen nach Griechenland und 10 Millionen nach Nigeria. Ganswindt hat dazu vor zwei Wochen mitgeteilt, er verfolge die Ermittlungen sehr aufmerksam.

Es bleiben Fragen

Nunmehr, da jetzt auch Kutschenreuter aussagt, vermutlich noch aufmerksamer als bisher. Spannende Fragen tun sich auf. Was weiß Kutschenreuter über Ganswindt? Und was weiß er über andere Spitzenmanager, deren Namen in den Geständnissen schon gefallen sind? Wie weit reicht der Skandal, der sich um Vorgänge in der Ära des früheren Konzernchefs Pierer dreht, in die Konzernspitze hinein?

Die Staatsanwaltschaft will alles wissen, und sie ist schon weit gekommen: Sechs Geständnisse von aktiven und ehemaligen Führungskräften und Angestellten in den Sparten Com und ICN in nicht einmal vier Wochen. Alle haben zugegeben, die schwarzen Kassen installiert oder ermöglicht zu haben, in denen mindestens 200 Millionen Euro versteckt worden waren.

Die vielen Millionen seien als Schmiergeld geflossen, in Europa, Asien, Afrika und Mittelamerika, beichteten mehrere dieser sechs Beschuldigten. Sie nannten mehr als zehn Länder, in denen man wertvolle Informationen und lukrative Aufträge gekauft habe. Die Aussicht, Weihnachten im Gefängnis zu verbringen, hat sie gesprächig gemacht. Nun redet auch Kutschenreuter.

© SZ vom 9.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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