Konjunktur:Überschätzte Ziffer

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Viel Brimborium um nichts: Quartalszahlen zum Wachstum sagen über den wirklichen Zustand der Wirtschaft nur wenig aus.

Björn Finke

Kaum eine Zahl führte bereits vorher zu so viel Rummel wie jene, die das Statistische Bundesamt an diesem Donnerstag bekanntgibt. Die Statistiker werden wohl berichten, dass das Bruttoinlandsprodukt vom ersten auf das zweite Jahresviertel kräftig geschrumpft ist. Schon in den vergangenen Tagen hatte ein Experte nach dem anderen vorsorglich kundgetan, wie heftig sich das Wirtschaftsklima abkühlen werde und was nun zu tun sei. Die Volkswirte und Politiker wirkten dabei sehr aufgeregt.

Hamburger Hafen: Um die BIP-Quartalszahlen wird ein großer Rummel gemacht. (Foto: Foto: AP)

Das ist ziemlich viel Brimborium um eine Zahl, die für die meisten Menschen wenig Bedeutung hat. Ob das Bruttoinlandsprodukt - kurz: BIP - um ein Prozent zu- oder abnimmt, kann dem Angestellten im Büro herzlich egal sein. Das BIP misst bloß den Wert aller hergestellten Güter und Dienstleistungen. Ist die Ziffer hoch, lief es ordentlich für die Firmen. Für die Bürger ist jedoch wichtig, was bei ihnen ankommt. Einige wollen mehr Geld, andere wollen sich weniger um den Arbeitsplatz sorgen müssen, wieder andere wollen überhaupt erst einmal einen Job haben.

Aufschwung ohne Wirkung

Diese Träume werden zwar einfacher wahr in Zeiten, in denen das Bruttoinlandsprodukt steigt, das alleine reicht allerdings nicht aus. Außerdem ist es die langfristige Entwicklung, die zählt: Wie es in irgendeinem Jahresviertel ausgesehen hat, ist nebensächlich. Die Politiker täten also gut daran, den Blick loszureißen von den BIP-Quartalsdaten. Statt über Programme zur kurzfristigen Ankurbelung der Konjunktur zu debattieren, sollten sie ihre Energie darauf lenken, wie der Staat auf lange Sicht günstige Rahmenbedingungen für Wachstum setzt - aber für Wachstum, das beim Gros der Bevölkerung auch ankommt.

Vom Aufschwung der letzten zweieinhalb Jahre haben viele offenbar nicht profitiert, das zeigen Umfragen. Drei Viertel der Deutschen glauben, dass ihnen der Boom nichts gebracht hat. Wie kann das sein, nach all den hohen Wachstumsraten?

Das kann sehr gut sein, weil diese Raten nichts darüber aussagen, wie der Wohlstand verteilt wird, ob Jobs geschaffen werden und wie sicher die Arbeitsplätze sind. Doch zumindest was die Arbeitslosigkeit angeht, hat der Aufschwung einiges gebracht. So stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten seit Anfang 2006 um 1,4 Millionen.

Mehr Geld für Bildung

Jene Bürger aber, die ohnehin bereits einen Job hatten, spüren das Wachstum nicht. Die Preissteigerungen fressen die Lohnerhöhungen auf. Und trotz neuer Stellen sorgen sich zahlreiche Menschen um ihren Arbeitsplatz. Teilweise zu Recht: Während im ersten Quartal 2008 das Bruttoinlandsprodukt rasant zulegte, beschloss etwa Nokia, eine profitable Handyfabrik aus Deutschland nach Rumänien zu verlegen. In Zeiten der Globalisierung ist Wirtschaftswachstum eben kein Garant mehr für sichere Jobs.

Das sind die Sorgen, denen sich die Politik stellen muss. Der Standort braucht einerseits Rahmenbedingungen, die Unternehmen ermuntern, zu investieren. Das ist die Grundlage für Wachstum, für neue Stellen und für Gewinne, die dann in Lohnerhöhungen fließen können. Damit von denen auch mehr bei den Bürgern ankommt, sollte die große Koalition Steuern und Abgaben senken. Zum anderen muss die Regierung jenen Beschäftigten zur Seite stehen, die Angst um ihren Arbeitsplatz haben und deren Furcht überhaupt nicht damit zusammenhängt, ob nun das Bruttoinlandsprodukt in einem Quartal gestiegen oder gefallen ist.

Der starre Kündigungsschutz ist nur eine scheinbare Lösung dieses Problems: Er hat Nokia nicht an der Werksverlagerung gehindert. Es bringt mehr, Geld in Bildung zu stecken. Hochqualifizierte Arbeitnehmer müssen weniger Angst vor der billigeren Konkurrenz im Ausland haben. Das würde zwar nicht die nächsten Quartalsdaten für das Bruttoinlandsprodukt verbessern, wohl aber die langfristigen Chancen der Arbeitnehmer.

© SZ vom 14.08.2008/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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