Kongress von Netzpolitik.org:Erfolgsfaktor Landesverrat

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Demonstranten, 180 000 Euro Spenden und ein gestürzter Generalbundesanwalt: Nach den Ermittlungen wegen Landesverrats geben sich die Macher von Netzpolitik.org weiter kämpferisch.

Von Johannes Boie, Berlin

Am Eingang der Berliner Kulturbrauerei hängen Pullover und T-Shirts, auf denen steht "Ein Abgrund von Landesverrat". Besucher der Konferenz anlässlich des elften Geburtstags der Internetredaktion Netzpolitik.org können die Kleidung kaufen - und damit ist vieles gesagt. Es gibt eine neue Zeitrechnung für die Leute um Markus Beckedahl, Chef und Gründer der Redaktion: vor den Ermittlungen des Generalbundesanwaltes gegen die Redaktion wegen Landesverrates. Und danach.

Nur drei Mal, erinnert Beckedahl in der Eröffnungsrede der Konferenz, habe es das in Deutschland gegeben: Einmal gegen den Spiegel, einmal gegen Konkret und jetzt eben auch gegen Netzpolitik. Die mittlerweile eingestellten Ermittlungen hatten sich in den vergangenen Monaten zu einem handfesten Skandal gemausert. Die Folgen waren Demonstranten auf den Straßen Berlins, ein Rüffel des Justizministers an den obersten Ankläger und ein zurückgetretener Generalbundesanwalt.

All das um Netzpolitik, die kleine Redaktion, die nun seit elf Jahren von einem Dachgeschoss im Hinterhof am Rosa-Luxemburg-Platz aus versucht, digitale Themen in die große bundesdeutsche und europäische Debatte zu tragen. Man schmälert nicht das inhaltliche Verdienst der Journalisten, wenn man anerkennt, dass ausgerechnet die Ermittlungen gegen sie ihr größter Erfolg in der Öffentlichkeit waren. Oder wie Beckedahl es ausdrückt: "Unser halber Sommer bestand aus Ausnahmezustand."

Die Redaktion will sich nicht unterkriegen lassen

Wie ist die Stimmung danach? Auf der Konferenz dauert es keine fünf Minuten und es ist klar, dass sich diese Redaktion nicht unterkriegen lassen möchte. Beckedahls Rede besteht aus mehr Forderungen als Rückblicken: Den Verfassungsschutzchef Maaßen, der die Anzeige gegen Netzpolitik erstattet hatte, nennt er "Täter". Jetzt fragt er sich, wer sonst noch an dem Verfahren beteiligt gewesen sei. Ob seine Redaktion überwacht worden sei? Warum noch immer gegen seine Quellen ermittelt werde? Und ob die dünnen Ermittlungsakten, in die seine Anwälte nun Einblick erhalten, wirklich vollständig seien?

Das alles ist unklar. Klar ist hingegen die finanzielle Seite. 18 000 Euro Spenden bekommt Netzpolitik durchschnittlich pro Monat. Als die Affäre um den Vorwurf des Landesverrats ihren Höhepunkt erreichte, waren es in zehn Tagen 180 000 Euro. Das Geld investiert die Redaktion in mehr Personal, in bessere Sicherheitstechnik, wie zum Beispiel verschlüsselte Telefone. "Und einen Teil legen wir zurück für Rechtsstreitigkeiten", sagt Beckedahl. Das klingt sinnvoll.

Nach dem Chef spricht Andre Meister über den NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag. 29 Mal hat Netzpolitik live aus dem Ausschuss berichtet - so viel wie kaum ein anderes deutsches Medium. Nur eine Sitzung habe man sausen lassen, sagt Meister, der sich sonst durch tausende Seiten Akten arbeitet - das war, als das Techno-Festival Fusion stattfand. Auch wer wirklich im Thema drinsteckt, kommt nicht umhin, bei Meisters Folien die Stirn zu runzeln, so geballt bringt er die Ergebnisse aus den 2253 Aktenordnern und zahlreichen Zeugenvernehmungen des Ausschusses herüber.

Ach ja, da war die Aussage des Bundesnachrichtendienstes, Satelliten-Überwachung aus dem bayrischen Bad Aibling würde in einer Art Ausland stattfinden, denn die Satelliten seien ja im Weltraum. Und da war das Statement des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, wonach "nur der liebe Gott und der Bundesnachrichtendienst wissen", was bestimmte Maschinen machen. Dabei ging es, wohlgemerkt, um parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste. Meister, Beckedahl und ihr Team bleiben für den Rest der Ausschusszeit dran; am 11.11. ist Halbzeit.

Ihr eindeutiges Engagement hat ihnen auch die Frage eingebracht, ob es sich bei Netzpolitik überhaupt um Journalisten handele. Kollegen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung etwa kritisieren die Arbeit der Berliner stark. Damit steht und fällt die Frage, welche Rechte die Redaktion schützen.

Zufriedenes Kichern im Saal

Beckedahl sagt, sie seien selbstverständlich Journalisten, aber eben solche "mit klarer Haltung." Das macht sie den eher einseitigen Kritikern unter ihren Kollegen ähnlicher, als diese das vermutlich wahr haben möchten. Meisters Aufforderung an das Publikum des kleinen Kongresses könnte demokratischer nicht sein: "Geht zu den öffentlichen Sitzungen des Ausschusses", schließt er seinen Vortrag, nicht ohne zu erklären, wie und wo man sich anmelden muss.

Gegen den fulminanten Auftakt von Beckedahl und Meister droht das übrige Konferenzprogramm fast ein wenig zu verblassen. Im Laufe des Tages widmen sich Experten, allesamt mehr oder weniger stark mit der Redaktion verbunden, den üblichen Streitthemen der Netz-Szene. Mehr als einmal kichert der Saal zufrieden in sich hinein, an Stellen, an denen die Konferenz von Menschen mit einer Meinung für Besucher mit derselben gemacht ist.

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Beckedahl erinnert an Vorratsdatenspeicherung

Es geht um die Störerhaftung, also um die Frage, ob ein Wlan-Eigentümer haftbar gemacht werden kann, wenn jemand anderes in seinem Netzwerk Illegales treibt. Der Rechtsexperte Leonhard Dobusch, der auch schon in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht hat, spricht über das Urheberrecht, und warum es im Internet nicht gut funktioniert. In einer Vielzahl von Vorträgen wird deutlich, wie massiv die Freiheit des Internets bedroht ist.

Im Kleinen und im Vergleich fast schon komfortablen - zum Beispiel im Urheberrecht oder in gedankenlosen EU-Regelungen. Und dann im Großen und Ganzen, etwa durch die Facebook-Initiative internet.org, die das Angebot von Facebook mit dem Internet gleichsetzt oder - noch übler - durch Regierungen, die das Netz einfach regelmäßig abschalten, zensieren oder manipulieren. Dabei schneidet Deutschland im Vergleich weniger gut ab, als man vermuten würde.

"Die Vorratsdatenspeicherung steht vor der Verabschiedung trotz aller verfassungsrechtlicher Bedenken und ihren Auswirkungen auf unsere Grundrechte", mahnt Beckedahl. Auch in Berlin bricht dieser Tage der Herbst an. Bei Netzpolitik ist von Abkühlung nichts zu spüren.

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