Kommunen:Lange Leitung

Lesezeit: 3 min

Die Digitalisierung der Städte geht schleppend voran. City-Rankings sehen nur wenige deutsche Städte auf der Höhe der Zeit, denn nur wenige räumen dem Thema Priorität ein. Online-Anträge bleiben Science-Fiction.

Von Christine Demmer

Was zur Zeit der Euro-Umstellung noch Science-Fiction war, ist heute Alltag. Wir kommunizieren standortungebunden rund um die Uhr und rund um den Globus miteinander. Wir kaufen und verkaufen online. Wir erledigen unsere Geldgeschäfte am PC. Die Energienetze steuern vollautomatisch zwischen Bedarf und Auslastung. Unser Stromzähler wird aus der Ferne abgelesen. Bei der Arbeit erreicht man uns im Home-Office. Die Digitalisierung hat unser Leben, unsere Gesellschaft und die Wirtschaft ebenso stark beeinflusst wie das massenhafte Aufkommen des Automobils vor kaum mehr als hundert Jahren. Das Auto hat das Gesicht der Städte verändert. Die Digitalisierung zielt auf ihr Nervensystem.

Eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PriceWaterhouseCoopers (PwC) aus dem vergangenen Jahr sieht Köln, Hamburg und München an der Spitze der digital am besten aufgestellten Städte Deutschlands ( siehe Grafik). Doch noch nicht alle Kommunen sind auf dem Weg in die digitale Zukunft. "Für Verbesserungen gibt es noch viel Luft nach oben", erklärt Studienautor Alfred Höhn. "Asiatische Länder sind uns um Jahre voraus." Nachholbedarf bestehe vor allem bei den Online-Angeboten und bei der Breitbandversorgung. "Vielen Städten fehlt eine umfassende Digitalisierungsstrategie", bemängelt Höhn. "Ein Breitbandnetz und die Verfügbarkeit des mobilen Internets sind sowohl für die Städte als auch für die Bürger absolut notwendig", mahnt auch Michael Tschichholz, Leiter Geschäftsentwicklung des Kompetenzzentrums Digital Public Services am Fraunhofer Institut für offene Kommunikationssysteme (Fraunhofer Fokus) in Berlin. "Das funktioniert in manchen Dritte-Welt-Ländern besser als bei uns."

Online-Gewerbeanmeldungen, wie in den USA längst Standard, gibt es hier nur in Bremen

64 Prozent der von PwC befragten Kommunen nennen die schwierige Haushaltslage als Haupthindernis für den Ausbau des Breitbandnetzes. Von den im Detail untersuchten Städten halten lediglich Köln und Bonn für 95 Prozent der Haushalte ein Breitbandnetz von mindestens 50 Megabit pro Sekunde (Mbit/s) vor. "Es besteht die Gefahr, dass sich der digitale Graben zwischen den fortschrittlichen Kommunen und denjenigen weiter vertieft, die die Digitalisierung nicht systematisch in Angriff nehmen", warnt Claus Wiegandt, Professor am Geografischen Institut der Universität Bonn und Co-Autor der PwC-Studie.

Die flächendeckende Breitbandversorgung geht nur schleppend voran. In der Digitalisierung sind andere Länder, besonders in Asien, Deutschland um Jahre voraus. (Foto: Arno Burgi/dpa)

Der Bremsfaktor: Von vielen Kommunen wird die Digitalisierung als Querschnittthema, nicht aber als eigenständiger Sachbereich verstanden. Dabei droht die Gefahr der Verzettelung. 20 der 25 von PwC untersuchten Städte verfügten 2015 weder über einen Digitalisierungsbeauftragten noch über eine Digitalstrategie. "Um bestehende Verwaltungsvorgänge effizienter zu machen, genügt es nicht, dass man einen Termin im Bürgeramt online vereinbaren kann", sagt Felix Hasse, Partner bei PwC und Experte für die Digitalisierung von Kommunen. "Digitalisierung muss als Organisationsaufgabe verstanden, Verwaltungsvorgänge müssen aus Sicht des Bürgers völlig neu gedacht werden. Ziel sollte es dabei sein, den Gang zur Behörde vollständig digital zu ersetzen."

Für die Studienreihe "Datenland Deutschland" hat sich das Beratungsunternehmen Deloitte Ende 2015 den Stand der Digitalisierung in den 30 größten Städten angeschaut und im Januar ein Ranking mit den Top zehn veröffentlicht. "Wir haben dabei vor allem die digitale Wettbewerbsfähigkeit der Kommunen in den Blick genommen", sagt Alexander Börsch, Leiter Research bei Deloitte. Aus der volkswirtschaftlichen Wachstumstheorie haben die Berater drei Faktoren der digitalen Leistungsfähigkeit einer Kommune abgeleitet: die Ausstattung mit Talenten, die sich aus der Hochschullandschaft ablesen lässt (im Gesamtranking gewichtet mit 40 Prozent), die Innovationsfähigkeit (40 Prozent) und die Attraktivität der Stadt (20 Prozent).

Im Deloitte-Ranking punktet die bayerische Landeshauptstadt mit hoher Dynamik im Informations- und Kommunikationssektor, mit der größten Anzahl qualifizierter IT-Experten und als Ballungsgebiet für IT-Unternehmen ebenso wie für viele Branchen, die digitale Technologie anwenden. Berlin hingegen ist aufgrund der hohen Dichte an Forschungseinrichtungen und der höchsten Gründungsintensität der innovativste Standort. Hamburg erzielt den dritten Platz im Gesamtranking durch seine Attraktivität für die zukünftigen, hochqualifizierten Arbeitnehmer - die meisten Studenten zieht es in die Hansestadt. Ebenso wie im Ranking von PwC fällt auch bei Deloitte das Fehlen von digitalen Leuchttürmen in Nordwest- und Nordostdeutschland sowie im äußersten Westen des Landes auf. Keine einzige Stadt in Niedersachsen, in Schleswig-Holstein, in Mecklenburg-Vorpommern, in Sachsen-Anhalt, in Brandenburg, im Saarland und in Rheinland-Pfalz ist auf den Bestenlisten vertreten.

SZ-Grafik (Foto: N/A)

Sichtbar wird die Digitalisierung für den Bürger am Angebot an kommunalen Onlinediensten. "Dabei werden vor allem solche Services angeboten, die vergleichsweise leicht zu etablieren sind", fasst PwC-Partner Felix Hasse den Sachstand zusammen. An vielen Orten in Deutschland sei es zum Beispiel möglich, online einen Termin für das Bürgeramt zu vereinbaren oder per Handy ein Busticket zu kaufen. Auch eine Präsenz in den sozialen Medien sei inzwischen bei den großen Städten weitgehend Standard. Seltener seien dagegen komplexere Serviceleistungen. "Nur in neun der 25 von uns im Detail untersuchten Städte können Bürger zum Beispiel einen Anwohnerparkausweis online beantragen", sagt Hasse. Online-Gewerbeanmeldungen, die etwa in den Vereinigten Staaten seit Jahren zum Standard zählen, biete nur Bremen an. Vorstellbar sind viele weitere Dienstleistungen, die Bürgern das Leben in der Stadt einfacher machen und sie stärker am öffentlichen Leben beteiligen.

Doch das kostet Geld, Geld, das die Städte nicht haben oder nicht für den Ausbau der Digitalisierung einsetzen wollen. Felix Hasse bedauert: "Die Chance, Bürger online an kommunalen Entscheidungen teilhaben zu lassen, bleibt vielfach ungenutzt." Es dauert, bis aus Science-Fiction kommunaler Alltag wird.

© SZ vom 06.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: