Kommentar:Wo Hubertus Heil ehrlich sein muss

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2023 sollen alle Bürger per Mausklick ihre Altersvorsorge überblicken. Doch auch für den Staat gilt ein Wahrheitsgebot - er muss über Steuern und Sozialabgaben auf Renten informieren.

Von Hendrik Munsberg

Na, endlich. Die Bundesregierung geht ein Projekt an, das schon lange angekündigt war, und nun bis 2023 Wirklichkeit werden soll. Das verspricht SPD-Rentenminister Hubertus Heil, der zum angegebenen Lieferzeitpunkt mit großer Sicherheit nicht mehr im Amt sein wird. Das Projekt ist aber überfällig, von nun an wäre ein Rückzieher für jede Regierung hochnotpeinlich. Die Bundesbürger sollen bekommen, was sie schon lange dringend brauchen - einen vollständigen Überblick über ihre Alterssicherung. Die Ansprüche aus gesetzlicher, privater und betrieblicher Vorsorge sollen per Mausklick auf einem staatlich verbürgten Internetportal verfügbar sein - und zwar, so sagt Heil, "einfach und auch für Laien nachvollziehbar".

Die Ansprüche an dieses Portal können nicht streng genug ausfallen. Vorbei die Zeiten, in denen Menschen Jahr für Jahr zurückgeworfen sind auf Post von ihrer Versicherung oder Kapitalanlagegesellschaft, die gern mit Worten wie diesen beginnt: "Sicherlich ist Ihnen die schwierige Lage auf den Kapitalmärkten nicht entgangen, deshalb haben Sie Verständnis dafür, dass wir unsere Konditionen anpassen müssen ..." Um dann immer jämmerlichere Renditeerwartungen zu präsentieren, welche die früheren, verheißungsvollen Prognosen zu makabren Witzen werden lassen. Ja, die Nullzinszeiten sind auch für Anbieter privater Vorsorgeprodukte schwierig, aber deren einstigen Vorhersagen waren aus heutiger Perspektive allzu oft unseriös und vom Selbstmarketing getrieben. Jedenfalls hätte das Leitbild des vorsichtigen Kaufmanns ziemlich häufig anderes geboten.

Die Vorhersagen von Anbietern privater Vorsorgeprodukte waren allzu oft unseriös

Na klar, die Geldanlageindustrie verfügt längst über eigene Software, moderne "Tools" mit seriöser Oberfläche, die bedrohliche Lücken der gesetzlichen Rente aufzeigen - um die Kundschaft dann zu den eigenen Produkten zu lotsen. Die Geschichte der Riester-Vorsorge kann da nur warnendes Beispiel sein. Deshalb ist es richtig - auch wenn der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats, Wolfgang Steiger, beharrlich das Gegenteil behauptet - dass die versprochene "digitale Rentenübersicht" unter dem Dach der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund) organisiert wird. Sie mag zwar nicht die Schnellste sein, ist aber als staatlich kontrollierte Einrichtung zumindest glaubwürdig und hat kein wirtschaftliches Eigeninteresse an selektiver Information.

Die Bürger, die das neue Internetportal anklicken, wollen vor allem eines wissen: Sie möchten für alle Zweige ihrer Altersvorsorge zuverlässig erfahren, welche Ansprüche sie gegenwärtig erworben haben - als Ergänzung hilfreich wären Szenarien, die den Menschen aber auch mögliche ungünstige Entwicklungen nicht vorenthalten. Die Renteninformation der DRV Bund, die jährlich an 31 Millionen Menschen versandt wird, entspricht solchen Anforderungen noch am ehesten, ist jedoch sicherlich verbesserungsfähig. Im neuen Steuerungsgremium für das Projekt sitzen ja richtigerweise auch Vertreter aus allen Zweigen der Altersvorsorge, hoffentlich ebenfalls erfahrene - und streitbare - Verbraucherschützer.

Heil will "den Kenntnisstand der Bürgerinnen und Bürger über die eigene Altersvorsorge verbessern: "Denn nur wer Bescheid weiß, kann gut vorsorgen." Das stimmt haargenau, könnte aber dazu führen, dass nicht wenigen Bürgern 2023 die Tränen in die Augen treten - wenn sie den wahren Stand ihrer Altersvorsorge kennen. Auf dem neuen Rentenportal werden sie dann wohl nicht erfahren, welchen Anteil die Politik des SPD-Ministers Heil an ihrer Situation hat. Der lässt gerade die kostbare Zeit einer ganzen Legislaturperiode verstreichen, ohne das wohl größte Problem der deutschen Altersvorsorge angepackt zu haben: die unzureichende Beteiligung weiter Bevölkerungskreise an den Früchten der Kapitalmärkte. Dabei hatte Heil eine Rentenkommission eingesetzt, die aber ohne Ergebnis auseinanderging - so wie es von der politischen Regie offenbar von Anfang an geplant war.

Soll das neue Rentenportal glaubwürdig sein, gilt aber auch für den Staat ein Wahrheitsgebot. Der müsste deutlich machen, in welchem Umfang Renten besteuert, also gemindert werden. Sollte die Rentenübersicht wirklich 2023 fertig sein, müsste dort zumindest auch klar werden, dass dann bei Neurentnern 83 Prozent (und 2040 exakt 100 Prozent) der Bezüge besteuert werden. Genauso ehrlich wäre ein Hinweis auf die Tatsache, dass Betriebsrenten oft deutlich geringer als erwartet ausfallen, weil darauf Beiträge an Kranken- und Pflegekassen zu entrichten sind. Denn, Heil hat ja recht: Nur wer Bescheid weiß, kann gut vorsorgen.

© SZ vom 28.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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