Kommentar:Wo bleibt der Mensch?

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Marc Beise erlebte bereits die Krise 2008 als SZ-Wirtschaftsredakteur. Es ist eine prägende Erinnerung. Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: ipad)

Die digitale Revolution kommt, das ist klar. Aber wann? Schneller als viele denken. Nirgendwo macht sich das mehr bemerkbar als beim Einkaufen. Sich der Entwicklung zu widersetzen, ist ziemlich aussichtslos. Aber man kann sie gestalten.

Von Marc Beise

Das Paket ist schon im Kofferraum, bevor man überhaupt das Büro verlässt, der freundliche Bote hat es dort abgelegt. Die Schuhe von Zalando, eben erst während eines langweiligen Meetings online bestellt, warten schon zu Hause vor der Tür, am selben Tag wohlgemerkt. Und der Kühlschrank hat sich mit dem Discounter vernetzt, der pünktlich zum Feierabend Nachschub für die gelichteten Fächer liefert. Die Bücher kommen ohnehin seit Langem im Amazon-Paket, die Musik allerdings nicht mehr, denn wer braucht noch CDs, wo es jetzt doch das Apple-Music-Abo gibt.

Alles schön und gut, nur: Wo bleibt der Mensch?

Das Leben wird digital, das ahnt ja jeder, aber man denkt doch: Es dauert noch ein Weilchen. Das selbstfahrende Auto ist schon im öffentlichen Verkehr unterwegs, hört man so, aber wer hat es schon je gesehen? Die Vision des Autobosses, dass man künftig übers Navigationsdisplay mit Karten für die eigentlich ausverkaufte Oper versehen wird, zu der man dann nur noch vorfahren muss, während der Wagen selbsttätig in die Tiefgarage kurvt, das ist eben: eine Vision. Noch ist das Silicon Valley beruhigend weit weg, und Google und Apple sind als Bedrohung eher ein Thema fürs Feuilleton; im praktischen Leben sind sie, ehrlich gesagt, recht hilfreich.

Nur täuscht die Ruhe.

Die digitale Revolution hat schon begonnen, und nirgendwo macht sich das mehr bemerkbar als beim Einkaufen. Die eingangs geschilderten Angebote sind schon ziemlich real. Der Online-Modehändler Zalando praktiziert in Berlin und Köln tatsächlich Same Day Delivery, die Telekom arbeitet am Kofferraumservice, auch die onlinegestützte Lebensmittelversorgung ist kein Hirngespinst mehr. Und Amazon? Nun ja, 32 Prozent der Bücher, sorry, liebe Buchhändlerinnen von nebenan, kommen bereits per Post ins Haus. 25 Prozent sind es bei der Mode, zehn beim Einzelhandel insgesamt.

Will man das?

Eigentlich doch schon, weil es das Leben erleichtert, weil wir keinen Parkplatz mehr suchen müssen und keinen Chip für den Einkaufswagen. Was kommt, das kommt, und man muss dann schon ziemlich borniert sein, alte Verhaltensweisen krampfhaft aufrechtzuerhalten.

Aus den Innenstädten sind kleine Läden fast vollständig verschwunden

Vielleicht sollte man sich aber wenigstens klarmachen, was auf der Strecke bleibt. Kontakte von Mensch zu Mensch. Das haptische Glück, in Büchern zu blättern, ohne sie bereits gekauft zu haben. Der Schwatz beim Espresso im Laden. Die Ehrfurcht vor dem Alltag. Wer seine Überweisungen, wenn schon nicht am Schalter, so doch wenigstens am Bankautomaten tätigt und nicht mal eben zwischendurch online, der weiß einfach besser, dass und wie viel Geld er ausgibt; das nur mal als Beispiel.

Und natürlich das große Ganze, der öffentliche Raum. Aus den Innenstädten sind kleine Läden fast vollständig verschwunden, will man jetzt auch die Stadtviertel ruinieren? Kürzlich haben Einzelhändler in München protesthalber ihre Schaufenster mit Packpapier verhüllt: So sieht es hier aus, wenn wir pleite sind! Die Weissagung der Cree-Indianer, die einst von der Umweltbewegung gepachtet wurde, passt abgewandelt auch hier: Erst wenn der letzte Laden verschwunden ist, werdet ihr feststellen, dass Online-Shoppen doch gar nicht so toll war.

Wahrscheinlich geht es am Ende, wie so oft, um den richtigen Mix. Man muss die Digitalisierung nicht aufhalten wollen, man kann es auch gar nicht. Aber man könnte heute einfach mal wieder einkaufen gehen. Persönlich. Wahrhaftig. Körperlich. Als Mensch unter Menschen.

© SZ vom 17.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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