Kommentar:Weiße Pfote von TTIP

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Schiedsgerichte im geplanten Freihandelsabkommen TTIP sind eine Täuschung. Sie verstoßen gegen das Grundgesetz und sind alles andere als harmlos.

Von Heribert Prantl

Im Märchen von den sieben Geißlein versucht der Wolf mit allerlei Tricks, ins Haus gelassen zu werden. Um seine Stimme weich zu machen, frisst er Kreide. Und um eine weiße Pfote ans Fenster legen zu können, lässt er sie beim Bäcker mit Mehl bestäuben. Die Täuschung gelingt, das Unheil nimmt seinen Lauf.

Die Kritiker von TTIP werden kaum an dieses Märchen gedacht haben, als sie am Samstag bei ihrem weltweiten Aktionstag gegen das geplante Freihandelsabkomme dessen Gefahren an die Wand malten. Aber das Märchen passt gut, um den Gang der Verhandlungen zu beschreiben.

An dieser Stelle soll von einem bestimmten Detail des TTIP-Abkommens und von einer bestimmten Stelle des Märchens die Rede sein: Von den sogenannten Schiedsgerichten zum Schutz von Investoren und Investitionen. Die "Investor-Staat-Streitbeilegung" ist im Abkommen das, was im Märchen die weiße Pfote ist - eine Täuschung. Man täuscht vor, harmlose Schiedsgerichte zu installieren, wie es sie in jedem Land seit vielen Jahrzehnten gibt und wie sie in vielen Zivilprozessordnungen geregelt sind. Dieses Schiedswesen genießt einen ordentlichen Ruf: Firmen, die in Geschäftsbeziehungen stehen, können vereinbaren, dass sie ihre Streitigkeiten bei diesen Schiedsgerichten klären lassen; diese wenden dann das geltende staatliche Recht an und entscheiden Prozesse nach dessen Regeln.

Die sogenannten Schiedsgerichte demontieren den Rechts- und Verfassungsstaat

Mit diesen Schiedsgerichten haben aber die Schiedsgerichte, die vom Ceta-Abkommen der EU mit Kanada eingeführt werden und vom TTIP-Abkommen mit den USA beschlossen werden sollen, nur den Namen gemein. Man gebraucht diesen Namen, um Harmlosigkeit zu signalisieren. Aber die Investitions-Schiedsgerichte sind nicht harmlos; sie verstoßen gegen das Grundgesetz und gegen den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Sie hebeln das deutsche und das europäische Verfassungsrecht aus, das den Rechtsstaat und die Demokratie sichern soll. Diese "Gerichte" verhandeln nicht Ansprüche zwischen zwei Firmen, sondern sie prüfen Ansprüche eines Konzerns gegen den Staat. Die Investitions-Schiedsgerichte wenden aber dabei nicht das staatliche Recht an, sondern sie überprüfen es; sie setzen sich über dieses Recht hinweg, bezeichnen es gegebenenfalls als investitionsschädlich und verurteilen das Land, das es erlassen hat, zu Schadenersatz. Das ist nicht Recht, sondern seine Umkehrung.

Das Investitions-Schiedsgericht (ein Gremium aus meist wirtschaftsnahen Anwälten) kann also Verordnungen und Gesetze, es kann selbst Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs als investitionsschädlich brandmarken. Wer solche "Gerichte" einrichtet, demontiert den Rechts- und Verfassungsstaat. Staaten, die sich auf so etwas einlassen, geben ihre Souveränität auf. Gewiss: Die EU-Mitgliedstaaten haben Hoheitsrechte an die EU übertragen. Aber die EU muss diese Hoheitsrechte selbst ausüben, sie darf sie nicht, auch nicht teilweise, "an Instanzen außerhalb der Union weitergeben, sie gar an private Institutionen auslagern". So hat dies jüngst Axel Flessner, emeritierter Professor für Europäisches Recht der Berliner Humboldt-Universität, klug analysiert: Der Investorenschutz will staatliches Recht mit staatlicher Haftung belegen. Der Investitionsschutz wird auf diese Weise zum obersten Wert, zum letzten und finalen Ziel gesellschaftlichen Handelns.

Im schon ausgehandelten Ceta-Abkommen steht nachzulesen, was die Stunde geschlagen hat: Die Staaten werden verpflichtet, Investoren für eine "Enteignung" ihrer Investitionen in Geld zu entschädigen. Als entschädigungswürdig gilt auch die Wertminderung einer Vermögensposition durch belastende Akte von Gesetzgebung, Verwaltung und Justiz. Das heißt: das Abkommen mit der weißen Pfote zwingt den Staat dazu, bestimmte Entscheidungen aus Angst vor Schadenersatz nicht zu treffen. Ceta und TTIP führen zur Nötigung von Verfassungsorganen; die EU-Staaten bringen sich aber selbst in die Nötigungssituation.

Der Staatsrechtler Flessner bringt gegen die Schiedsgerichte noch ein Argument in Stellung, das juristisch unschlagbar ist: Bei der Haftung, die den Staaten durch den Investitionsschutz auferlegt wird, handelt es sich um Staatshaftung. Diese ist sowohl im Grundgesetz als auch im Vertrag über die Arbeitsweise der EU abschließend geregelt: Eine Sonderhaftung nach eigenen Regeln ist nicht vorgesehen und deswegen ohne Änderungen der Verfassungen auch nicht einführbar.

Wer den Freihandel liebt, sollte also die Investitionsschutz-Schiedsgerichtsklauseln in den Orkus werfen. Sie vergiften jedes Abkommen.

© SZ vom 20.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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