Kommentar:Was Wettbewerb kann

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Brauchen wir die Preisbindung, wie sie noch für Medikamente oder Bücher besteht? Es gibt die Chance, dass die Kosten für Patienten sinken - und man sollte sie ergreifen.

Von Nikolaus Piper

Auf den ersten Blick geht es nur um die Rabatte von Internet-Apotheken aus dem Ausland. Mit seinem Urteil hat der Europäische Gerichtshof die bisherige deutsche Rechtsprechung über den Haufen geworfen und Preiswettbewerb bei Versand-Apotheken zugelassen. Die Richter in Luxemburg haben mit ihrem Urteil über den Anbieter Doc Morris jedoch indirekt noch eine viel grundsätzlichere Frage gestellt: Darf und vor allem kann es im Zeitalter des Internets überhaupt noch Preisbindung geben, so wie sie heute in Deutschland für verschreibungspflichtige Medikamente gilt? Das betrifft nicht nur Apotheken, sondern auch Buchhandlungen, Zeitungskioske und - in gewissem Sinne - Taxis.

Es gibt eine Chance, dass die Kosten für Patienten sinken. Man sollte sie ergreifen

Wer ein wenig älter ist, kann sich noch an eine Zeit erinnern, in der bei vielen Produkten der Preiswettbewerb unterbunden war. Für eine Beatles-LP musste man Ende der Sechzigerjahre 19,90 Mark bezahlen, egal wo man sie kaufte; eine Packung Persil kostete in jedem Laden gleich viel. Dies ging ausschließlich zu Lasten der Verbraucher und wurde daher 1974 abgeschafft. Nur für ein paar Produkte blieb das Prinzip erhalten: Bücher, Zeitungen und eben Medikamente. Wettbewerbstheoretiker hatten zwar auch gegen diese Ausnahmen schon immer Einwände, doch dank starker Lobby, der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände und dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels, ist in diesen beiden Branchen alles beim Alten geblieben. Bis eben das Internet mit seiner inhärenten Grenzenlosigkeit kam. Im Grunde hat der EuGH nur Internet und Europarecht zusammengebracht und einen radikalen Schluss daraus gezogen.

Die Frage ist, wie es jetzt weitergeht. Der Status quo ist nicht mehr haltbar. Es kann nicht sein, dass der Internet-Apotheke aus dem Ausland erlaubt wird, was der stationären Apotheke in Deutschland verboten ist, eben Rabatte der Pharmaindustrie an die Patienten weiterzugeben. Wenn man den Onlinehandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten nicht ganz verbieten will, muss man den Preiswettbewerb für alle zulassen. Die deutsche Monopolkommission hat dazu schon vor Jahren ein Modell entwickelt, ganz unabhängig vom EuGH. Der Widerstand der Betroffenen ist verständlich. Bisher findet der Wettbewerb zwischen Apotheken ausschließlich über den Standort statt: Wer die beste Innenstadtlage erwischt hat, hat gewonnen. Wenn nun der Preiswettbewerb hinzukommt, werden viele Apotheken verschwinden und die verbleibenden größer werden.

Die Preisbindung für Apotheken wurde bisher immer mit dem Ziel gerechtfertigt, die flächendeckende Versorgung zu gewährleisten. Der EuGH hat an dieser Rechtfertigung gezweifelt. Wenn aber der Preiswettbewerb nicht zu einer schlechteren Versorgung führt, gibt es keinen Grund, die Chance auf Kostensenkung für Krankenkassen und Patienten nicht zu nutzen. Es ist ja kein Zufall, dass die Klage vor dem EuGH von einer Interessenvertretung für Parkinson-Patienten angestrengt wurde, Menschen also, deren Krankheit nur sehr teuer zu therapieren ist.

Die zweite Branche, die sich mit dem Thema befassen muss, ist der Buchhandel. Die Buchpreisbindung gibt es, weil Politiker das Buch als Kulturgut besonders schützen wollten. Ob dieses Mittel, das ja Bücher erst einmal teurer macht, wirklich ein Schutz ist, darüber streiten Experten. Eine der schönsten Buchhandlungen der Welt, "Strands" in New York, hat ihr Geschäftsmodell geradezu darauf aufgebaut, dass sie die meisten Bücher billiger als die Konkurrenz verkauft. Wettbewerb kann also der Kultur guttun. Trotzdem wird die Buchpreisbindung wohl nie fallen. Der Widerstand ist zu groß. Das ändert nichts daran, dass wegen des Internets und des veränderten Leserverhaltens junger Menschen immer mehr Buchhandlungen verschwinden. Ihr Geschäftsmodell könnte obsolet werden. Der Wettbewerbsökonom Justus Haucap glaubt zum Beispiel, dass Amazon irgendwann zu einem "Bibliotheksmodell" übergehen wird. Dann kauft man sich keine Bücher mehr, sondern leiht sie elektronisch.

Eigentlich müssten die Deutschen dem EuGH dankbar sein. Mit seinem Urteil zwingt er Politik und Öffentlichkeit, darüber zu befinden, wie sie künftig mit dem Internet umgehen wollen: Wollen sie verhindern, was noch zu verhindern ist? Oder wollen sie die Chancen des Netzes nutzen, vielleicht sogar, um gesellschaftliche Probleme (zum Beispiel die steigenden Kosten des Gesundheitswesens) anzugehen. Der Kampf um die Preisbindung ist ein Kampf von gestern. Man sollte nicht zu viel Energie darauf verschwenden.

© SZ vom 21.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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