Kommentar:Was Draghi darf

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Es wäre fatal, wenn sich der Eindruck verfestigte, die EZB als Wächterin über den Euro sei unsicher über ihr Mandat. Damit würde sie selbst zum Risiko.

Von Nikolaus Piper

Das Bundesverfassungsgericht bezweifelt, dass alles rechtens ist, was Mario Draghi an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) macht. Deshalb haben die Richter eine Klage deutscher Euro-Gegner an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) überwiesen. Die Luxemburger sollen nun prüfen, ob der massive Kauf von Staatsanleihen durch die EZB (bisher 2,2 Billionen Euro) durch deren Mandat gedeckt ist. Oder ob Draghi & Co mit ihrem Programm rechtswidrig schwachen Euro-Ländern geholfen haben. Wie das Urteil ausfällt, ist von immenser Bedeutung, für die Zukunft des Euro ebenso wie für die des Weltwährungssystems.

Notenbanken leiden unter einer Vertrauenskrise. Auch deren Unabhängigkeit steht zur Debatte

Es geht nicht nur um die EZB, es geht um die Institution der modernen Notenbank schlechthin. In der Finanzkrise haben EZB, Federal Reserve, Bank of England, Bank of Japan und Schweizerische Nationalbank die Welt gerettet, dadurch aber auch ungeplant eine beispiellose Macht bekommen. Die Welt ist heute abhängig von den historisch niedrigen Zinsen und von den Billionen Euros und Dollars, die die Notenbanken mittels Kauf von Staatsanleihen geschaffen haben. Die niedrigen Zinsen helfen Finanzministern und Investoren, aber sie empören die Sparer und zerstören das Geschäftsmodell von Versicherungen und Bausparkassen (siehe Bericht auf dieser Seite). Je länger diese Politik dauert, desto umstrittener wird sie. Inzwischen gehört in den USA und in den großen Industrieländern Westeuropas im Durchschnitt ein Fünftel der Staatsschuld den Notenbanken. Den Euro gäbe es wohl nicht mehr, hätte Draghi nicht versprochen, notfalls unbegrenzt Staatspapiere zu kaufen. Und trotz der ganzen Geldschwemme ist die Inflationsrate immer noch niedriger, als die EZB dies wünscht (knapp unter 2,0 Prozent).

Zunehmend wird auch die Unabhängigkeit der Notenbanken in Frage gestellt. Bisher galt es als Schlüssel zu einer soliden Geldpolitik, dass Politiker den Notenbankern nichts zu sagen haben. Jetzt ändert sich das Klima. In den Vereinigten Staaten gibt es, besonders unter Republikanern, eine starke Tendenz, die Federal Reserve der Kontrolle durch den Kongress zu unterstellen. Die Parole "End the Fed" ("Schafft die Fed ab") ist bei rechten wie linken Populisten beliebt. Auch Donald Trump hat im Wahlkampf mit den verbreiteten Ressentiments gespielt, unter anderem durch Angriffe auf die Fed-Chefin Janet Yellen. Jetzt muss er entscheiden, ob er Yellen für eine zweite Amtsperiode nominieren will. Das Ergebnis wird einen Hinweis darauf geben, ob Trump die Fed in Ruhe lässt, oder ob er auch hier seinen populistischen Instinkten nachgibt.

Auch die EZB hat in der Öffentlichkeit an Rückhalt verloren. In Deutschland herrscht die Furcht, für die Rettung der schwachen Euro-Länder bezahlen zu müssen ("Die EZB enteignet die Sparer"), in den schwachen Ländern gilt Draghi dagegen als brutaler Exekutor neoliberaler Politik und/oder als Erfüllungsgehilfe von Angela Merkel. Die Deutschen lieben noch immer ihre unabhängige Bundesbank, daher wollen sie Draghi nicht durch Politiker zügeln, sondern durch Gerichte.

Währenddessen wird in der europäischen Linken eine ganz andere, sehr radikale Denkschule immer populärer. Beispielhaft vertritt sie der orthodox linke Chef der britischen Labour Party, Jeremy Corbyn. Danach ist das Problem nicht, dass die Notenbanken zu viel Geld drucken, sondern immer noch zu wenig. Und dass das Geld nur den Banken und den Reichen zugute kommt. Um dies zu ändern propagiert Corbyn "Quantitative Easing for the People" (frei übersetzt: "Geldschöpfung für das Volk"). Konkret würde das bedeuten, dass der Finanzminister nicht mehr den Umweg über den Kapitalmarkt gehen muss, wenn er Geld braucht, sondern dass er die Rechnung gleich direkt an die Notenbank schickt, die dann das nötige Geld druckt. Nicht mehr die Notenbank, sondern die Regierung hätte dann das Sagen über die Geldversorgung. Die Unabhängigkeit der Notenbanken wäre vorbei.

Nächste Woche treffen sich in Jackson Hole (US-Bundesstaat Wyoming) die Spitzen der internationalen Geldpolitik zum Meinungsaustausch. Sie sollten die Vertrauenskrise der Notenbanken sehr ernst nehmen. Sie operieren nicht im luftleeren Raum, sondern sind auf die Akzeptanz von Märkten und Öffentlichkeit angewiesen. Deshalb ist es auch so wichtig, dass der EuGH möglichst schnell die Unsicherheit darüber beendet, was Draghi darf und was nicht. Es wäre fatal, wenn sich der Eindruck verfestigte, die EZB als Wächterin über den Euro sei unsicher über ihr Mandat. Damit würde sie selbst zum Risiko.

© SZ vom 17.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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