Kommentar:Vor dem Sturm

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Die Zahl der Industriejobs geht erstmals seit zehn Jahren zurück, die Autobranche produziert so wenig wie vor 22 Jahren: Die deutsche Wirtschaft steht vor einem herben Abschwung. Die großen Unternehmen müssen sich schnell darauf einstellen.

Von Caspar Busse

Es sind keine guten Nachrichten, die aus der deutschen Wirtschaft kommen. Sie sind vielmehr bedrohlich - und womöglich Vorboten einer noch düsteren Entwicklung. Keine Frage: Die deutschen Unternehmen, deren Wohl seit Jahren mehr denn je am Export hängt, müssen sich auf einen herben Entzug einstellen. Eine schwache Weltkonjunktur, ungelöste Handelsauseinandersetzungen, der zunehmende Egoismus von wichtigen Wirtschaftspartnern wie den USA und China, die vor allem das eigene Wohl im Blick haben - all das wird besonders der deutschen Wirtschaft zu schaffen machen. Und die Konzerne, die nach zehn Jahren ungebrochenen Aufschwungs fast nicht mehr wissen, was eine Krise ist, sollten sich dafür so schnell wie möglich wappnen.

Vorboten gibt es bereits: Im Oktober schrumpfte erstmals seit neun Jahren, also seit dem Ende der Finanzkrise, die Zahl der Mitarbeiter in der deutschen Industrie. Das Job-Minus im verarbeitenden Gewerbe liegt zwar bei lediglich 0,2 Prozent, wie das Statistische Bundesamt berechnet hat. Aber das wird voraussichtlich nur der Beginn sein: Viele große Unternehmen haben bereits angekündigt, im kommenden Jahr Jobs abzubauen. Daimler, Audi, Bosch, Thyssenkrupp, Continental, Siemens, Bayer, BASF - die Liste ist erschreckend lang und auch noch nicht vollständig.

Es ist schon absehbar, dass es 2020 noch mal weniger Autos sein dürften

Besonders groß sind die Schwierigkeiten in der Autoindustrie, über Jahrzehnte der Stolz Deutschlands und traditionell wichtiger Impulsgeber für andere Wirtschaftsbereiche. Einer Studie zufolge werden 2019 in Deutschland so wenige Autos gebaut wie seit 22 Jahren nicht mehr. Es ist schon absehbar, dass es 2020 noch mal weniger sein dürften als die knapp 4,7 Millionen Fahrzeuge in diesem Jahr. Dramatisch dabei: Der Anteil Deutschlands, dem Land, in dem das Auto einst erfunden wurde, an der Weltproduktion liegt jetzt bei nur noch knapp sechs Prozent, und hat sich in den vergangenen 20 Jahren halbiert. Viele deutsche Hersteller haben Werke in anderen Ländern aufgebaut. Der Standort Deutschland mit seinen vielen Jobs verliert damit weiter an Bedeutung.

Die Autoindustrie ist dabei ein Beispiel, wie verhängnisvoll es sein kann, wenn selbstgemachte Fehler und allgemeine Probleme plötzlich zusammenkommen und zu einem Sturm werden. Der Dieselskandal - die bewusste Manipulation von Fahrzeugen, damit diese die gesetzlichen Normen einhalten - hat zu Kosten in Milliardenhöhe, zu Imageeinbußen und Kaufzurückhaltung geführt. Gleichzeitig geht der Trend weltweit zu alternativen Antrieben, die deutsche Ingenieure hatten aber lange auf herkömmliche Technologien gesetzt und müssen jetzt in großer Eile umsteuern. Dazu kommt die extreme Exportabhängigkeit: BMW zum Beispiel macht nur noch acht Prozent seines Geschäftes in Deutschland. In Zeiten einer florierenden Weltkonjunktur und boomender Märkte wie in China sorgte das für gute Geschäfte. Dreht sich der Trend, wie jetzt, ist das besonders hart.

Dazu kommt ein struktureller Wandel der gesamten Wirtschaft, fast alle Geschäftsmodelle ändern sich durch die Digitalisierung grundlegend. Neue Wettbewerber tauchen auf. Es geht plötzlich um Daten, die Bedürfnisse der Kunden ändern sich. Die alten Konzepte zur Krisenbewältigung taugen nicht mehr. Nahezu jedes Unternehmen muss sich neu erfinden, und das oft unter dem Druck der Kapitalmärkte. Bei Konzernen wie Thyssenkrupp sind bereits Investoren eingestiegen, die aggressiv auf schnelle Änderungen und kurzfristige Wertsteigerungen drängen. Andere Unternehmen wie Siemens oder Bayer gliedern unter dem Druck ganze Geschäftsbereiche aus und bringen sie als selbständige Einheiten an die Börse. Sie teilen sich also selbst auf, um schneller zu werden. Dazu kommen weitere Belastungen für die Unternehmen, zum Beispiel auch durch das Klimapaket, sowie ein Mangel an Fachkräften.

Das alles könnte dafür sprechen, dass es sich dieses Mal um einen anderen Abschwung handelt. Bei den letzten Krisen ist die Wirtschaftsentwicklung steil nach unten gegangen, dann aber gefolgt von einer schnellen Erholung. Doch woher sollen nun entscheidende Impulse kommen? Der Leitzins der Europäischen Zentralbank (EZB) liegt schon lange bei null, die Notenbank ist damit quasi handlungsunfähig. Die große Koalition in Deutschland ist gerade sehr mit sich selbst beschäftigt. Angesichts des Umbruchs der Wirtschaft besteht durchaus die Gefahr, dass es zu einer längeren Flaute kommt und die Wirtschaft dahindümpelt - mit allen negativen Konsequenzen.

© SZ vom 18.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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