Kommentar:Und wer zahlt's?

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Es ist ganz leicht, die Pendlerpauschale geltend zu machen - aber sehr schwierig, ein Arbeitszimmer abzusetzen. Das muss sich ändern. Denn die Arbeitswelt verändert sich gerade rasant - und das wird auch nach Corona weitergehen.

Von Stephan Radomsky

An vielen heimischen Schreib- und Esstischen läuft gerade wieder der Endspurt: Wer seine Einkommensteuererklärung selbst macht, muss sie bis Freitag abgeben. Eines können die meisten Steuerzahler dann mal wieder nicht geltend machen: den heimischen Schreib- oder Esstisch. Denn der ist, so sieht es der Gesetzgeber, für den allergrößten Teil der Arbeitnehmer reine Privatsache. Ein Arbeitszimmer sauber und legal bei der Steuer geltend zu machen, das gehört seit Jahren zum so ziemlich Schwierigsten, was ein Otto Normalsteuerzahler sich vornehmen kann. Für die meisten ist es unmöglich. Gerade in diesem Jahr dürfte das viele ärgern: Schließlich sitzen Millionen Menschen seit Monaten schon im Home-Office - in der privaten Wohnung, an privat angeschafften Möbeln, arbeitsfähig dank privat bezahltem Strom. Sie sind mit den Kosten nach heutiger Rechtslage allein.

Inzwischen läuft zwar eine Debatte, ob all diejenigen, die gerade von zu Hause aus arbeiten, nicht doch einen Steuerbonus erhalten sollten. Im Gespräch ist eine Erhöhung der Werbungskostenpauschale um 50 bis 100 Euro pro Monat. Entschieden ist allerdings noch nichts, und das Finanzministerium hält sich bisher sehr bedeckt. Was sich allerdings abzeichnet: Dass es zunächst einmal nur um die Corona-Monate des Jahres 2020 gehen dürfte - und nicht um eine allgemeine Reform. Dabei wäre die dringend nötig.

Die steuerlichen Regelungen zu Arbeitszimmer und Arbeitsweg müssen grundsätzlich überarbeitet werden. Die Arbeitswelt verändert sich gerade rasant. Arbeiten, das heißt für viele immer seltener: ins Büro fahren. Diese Entwicklung dürfte sich fortsetzen, wenn die Pandemie hoffentlich längst überstanden ist. Siemens etwa will 140 000 Mitarbeiter künftig dauerhaft bis zu drei Tage die Woche ins Home-Office schicken. Andere Arbeitgeber dürften folgen. Fragt sich nur, ob die Arbeitnehmer bereit dafür sind und ob sie ein Interesse daran haben. Gerade in den Großstädten haben viele Menschen kein separates Arbeitszimmer in ihrer Wohnung. Weil ihre Jobs seit Jahrzehnten auf 100 Prozent Präsenz ausgerichtet waren. Aber auch, weil Wohnraum vielerorts knapp und teuer ist. Mehr Quadratmeter für einen ordentlichen Arbeitsplatz hießen deshalb auch: mehr Miete. Und selbst wer über ausreichend Raum verfügt, dürfte sich bei der heutigen Gesetzeslage gründlich überlegen, ob er ihn auch dauerhaft zum Arbeiten nutzt. Steuerlich ist es für die meisten viel einfacher und damit attraktiver, ins Büro zu pendeln und die Strecke geltend zu machen, als den Fiskus an den Kosten fürs Home-Office zu beteiligen.

Ins Büro pendeln oder zu Hause arbeiten - steuerlich sollte das keinen Unterschied machen

Der Staat schafft damit einen unsinnigen Anreiz: Die Ballungsräume ächzen unter Millionen Pendlern, die morgens in die Städte strömen und abends wieder hinaus - und das in vielen Fällen nur, um im Büro vor einem Rechner zu sitzen statt daheim. Für Mensch und Natur ist dieses tägliche Hin und Her eine ungeheure Belastung. Stress, Unfälle und Abgase ließen sich deutlich reduzieren, wenn mehr Arbeitnehmer daheimblieben. Trotzdem befördert der Fiskus die Pendelei durch eine vergleichsweise großzügige Entfernungspauschale und restriktive Regeln für das Arbeitszimmer zu Hause.

Wenn es dem Chef nun in Zukunft immer häufiger egal ist, von wo aus seine Leute ihre Aufgaben erledigen, sollte es dem Finanzamt ebenfalls egal sein. Eine absetzbare Pauschale für alle - ob sie nun daheim vor dem Rechner oder in der Werkshalle arbeiten - wäre die richtige Antwort auf eine Arbeitsrealität, die sich verändert und flexibler wird.

Natürlich würde damit nicht das Problem zu kleiner und zu teurer Wohnungen gelöst. Es bliebe auch die Frage, wie die Unternehmen, die sich bald sicherlich einiges an Büromieten sparen werden, an den Kosten beteiligt werden könnten. Doch es wäre ein wichtiger und richtiger erster Schritt, Angestellte im Home-Office nicht mehr schlechterzustellen als Pendler. Es wäre ein Zeichen, dass der Gesetzgeber verstanden hat, dass sich die Arbeitswelt grundlegend verändert. Und dass es nicht mehr zeitgemäß ist, per Steueranreiz bestimmen zu wollen, wie gearbeitet wird.

© SZ vom 30.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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