Kommentar:Um jeden Preis

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Der designierte italienische Regierungschef Mario Draghi. Auf seinen Sachverstand und seine Durchsetzungsfähigkeit hoffen viele. (Foto: YARA NARDI/REUTERS)

Italien ist reif für ein neues "Whatever it takes". Ein Regierungschef Draghi muss aus Europas Labor des Populismus ein Labor der Reformen machen.

Von Ulrike Sauer

Es gibt romantischere Liebeserklärungen. Aber ausgefallenere? "Du bist so schön wie das Whatever it takes von Mario Draghi", hat jemand an einem italienischen Straßenrand an die schmuddelige Wand gemalt. Der Enzyklopädie-Verlag Treccani veröffentlichte das Graffito, als er Draghis Kampfansage an die Euro-Spekulanten vor einem Jahr als Wortneuschöpfung in sein Lexikon aufnahm. Das Versprechen des früheren EZB-Chefs und designierten Regierungschefs ist in Italien nicht nur ein Superlativ der Schönheit. Es kommt vielen leicht über die Lippen, die ihr Ziel wie der Retter der Euro-Zone um keinen Preis aufgeben wollen. Das zeugt von der Popularität eines Mannes, der von der populistischen Parlamentsmehrheit in Rom bisher als "Apostel der Elite" beschimpft wurde. Just diese Kräfte haben sich dem Römer nun zu Füßen geworfen.

Die Kapitulation der Parteien eröffnet Italien und Europa unverhoffte Chancen. 2018 war Italien zum Labor des Populismus in Europa geworden. Vor drei Jahren ging in Rom aus den Wahlen das europafeindlichste Parlament der Geschichte hervor. Nach zwei gescheiterten Regierungsversuchen von Giuseppe Conte laufen Fünf Sterne und Lega nun mit wehenden Fahnen zum Antipopulisten über. Was man in Italien nun erleichtert als die Romanisierung der Barbaren begrüßt. Draghis Sachverstand und seine Durchsetzungsstärke sind plötzlich die letzte Zuflucht der Politiker. Das zeigt, wie verzweifelt die Lage ist: Italien ist reif für ein neues Whatever it takes.

Der Antritt Draghis läutet in mehrfacher Hinsicht eine Stunde null ein. Das fängt mit Personalfragen an. Der Anti-Establishment-Furor hat gepaart mit einem zügellosen Machthunger der Populisten in der Wirtschaft verheerenden Schaden angerichtet. Die unerfahrenen Kabinettsmitglieder umgaben sich in den Ministerien mit Schulfreunden und linientreuen Mitstreitern. Kompetenz war verpönt. Reihenweise jagte man Behördenchefs, Topmanager der Staatskonzerne und Aufseher davon.

(Foto: N/A)

Die Rezepte der Dilettanten erwiesen sich zudem als Flop. Emblematisch: Den 1,3 Millionen Beziehern eines neuen Grundeinkommens sollten 2980 angeheuerte "Navigatoren" auf dem Arbeitsmarkt zu einem Job verhelfen. Zwei Jahre später hatten nur 192 000 Arbeitslose einen meist befristeten Vertrag erhalten. Auch die Wiedereinführung der Frührente verfehlte ihr erklärtes Ziel, jungen Menschen den Eintritt ins Arbeitsleben zu ermöglichen. Nur 40 Prozent der neuen Ruheständler wurden ersetzt. Die Pandemie hat die chronischen Schwächen verstärkt. 2020 fiel die Wirtschaftskraft um 8,8 Prozent. Italien ist wieder einmal das Schlusslicht in Europa.

Draghi muss nun rasch das größte Versagen der Regierung von Premier Giuseppe Conte ausmerzen. Sie hat es in sieben Monaten nicht geschafft, einen überzeugenden Investitionsplan für die 209 Milliarden Euro aus dem europäischen Wiederaufbaufonds vorzulegen. Auch die dritte Version des Plans kam bei der EU-Kommission schlecht an. Vage Projekte, unverbindliche Vorgaben, keine überprüfbaren Etappenziele, bemängelte Brüssel. Besonders scharf kreidet man Rom das Fehlen von Reformen an. Nur sie können dafür sorgen, dass das beispiellose Hilfsangebot der europäischen Partner nicht in den Stricken der italienischen Bürokratie gefangen bleibt. Und verhindern, dass Italien auch seine letzte Chance vertut.

In seiner Zeit in Frankfurt hat Draghi unablässig Strukturreformen bei den Regierungen angemahnt. In Rom muss er nun mithilfe seiner Autorität und seines Geschicks diese Forderung einlösen. Nicht minder wichtig wird es sein, den Knoten aus starren Gewohnheiten und verfestigten Interessen zu durchschlagen, der den italienischen Staat zu seiner Ineffizienz verurteilt. Draghi ist wohl eher dazu in der Lage als jeder andere. Ob es reicht?

Gewiss wäre es eine Sensation: Der Römer würde aus Europas Labor des Populismus ein Labor für Reformen machen.

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