Kommentar:Totengräber der Marktwirtschaft

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Marc Beise erlebte bereits die Krise 2008 als SZ-Wirtschaftsredakteur. Es ist eine prägende Erinnerung. Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: ipad)

Was geht in Ihnen vor, wenn sie abends in den Talkshows die Kritiker des Kapitalismus reden hören, wenn es um wachsende Ungleichheit im Land, um schwindendes Vertrauen in die Marktwirtschaft geht?

Von Marc Beise

Wissen sie nicht, was sie tun? Was geht in ihnen vor, wenn sie morgens in den Spiegel schauen? Was, wenn sie abends in den Talkshows die Kritiker des Kapitalismus reden hören, wenn es um wachsende Ungleichheit im Land, um schwindendes Vertrauen in die Marktwirtschaft geht? Denken sie dann: Diese Debatte betrifft mich nicht? Ich stehe da drüber, ich führe, ich schaffe Werte? Oder lassen sie diese Gedanken gar nicht erst zu, schieben jeden Anflug von schlechtem Gewissen zur Seite nach dem Motto: Seien wir ehrlich, jeder ist sich doch der Nächste, warum nicht auch ich mir selbst?

Fälle eklatanter Raffgier unter deutschen Managern sind selten, das ist in diesem Zusammenhang die gute Nachricht, nur leider ist jeder Fall einer zu viel. Denn die Außenwirkung ist gewaltig, und die Marktwirtschaft als freiheitliche Organisationsform gründet zunächst auf Recht und Gesetz, ja, aber wesentlich eben auch auf Akzeptanz und Moral.

Dass der Luftfahrtmanager Thomas Winkelmann mit bis zu 4,5 Millionen Euro die Insolvenz von Air Berlin hinter sich lässt, die zu verhindern er angetreten ist, dass er diese Summe für ein gutes halbes Jahr im Ergebnis erfolgloser Arbeit bekommt, hat in dieser Woche eine Woge der Empörung ausgelöst, die weit über den Einzelfall hinaus Wirkung zeigt. Erst recht, weil die Zahlungsverpflichtung an den Chef trickreich durch eine Bankgarantie insolvenzsicher gemacht wurde: Sie wird gezahlt, auch wenn das Unternehmen nicht mehr zahlen kann.

Manche Führungskräfte der Wirtschaft versuchen nun, den Manager persönlich aus der Schusslinie zu bekommen. Er sei aus einer sicheren Position auf einen Schleudersitz gewechselt, sei doch klar, dass er sich da habe absichern wollen. Noch besser: Wenn man in der verfahrenen Situation, in der die Fluggesellschaft war, einen Spitzenmann bekommen wollte, dann habe man ihm solche Garantien bieten müssen. Und überhaupt: Letztlich sei doch der Aufsichtsrat zu kritisieren, der einen solchen Vertrag genehmigt und unterschrieben hat. Das Argument sticht nur halb. Ja, der Aufsichtsrat hat das letzte Wort, aber gehören zu einem solchen Vertrag nicht zwei? Was ist das eigentlich für ein "Spitzenmann", der sich derart absichert, der kein Vertrauen in die eigene Leistung hat, der es gar nicht wissen will?

Juristisch mag der Vorgang nach allen Regeln der Kunst sauber sein, moralisch ist er es nicht. Kein Manager hätte einen solchen Deal angeboten bekommen dürfen, keiner hätte ihn auch abschließen sollen. Und wetten, es hätten sich auch andere potente Führungskräfte gefunden, die mehr ins Risiko gegangen wären? Es gibt sie ja, die integren Manager, die wissen, dass in der Leistungsgesellschaft eben nur für Leistung bezahlt werden sollte. Dass wer sehr viel verdienen kann, auch sehr viel verlieren können muss.

Wenn solche Fälle wie bei Air Berlin Schule machen, und es gibt sie leider immer wieder, dann muss man sich nicht wundern, wenn das Vertrauen in die Wirtschaft immer mehr erodiert. Auch im konkreten Fall. Schon erinnern manche daran, dass Winkelmann vom Konkurrenten Lufthansa kam. Was, wenn er aus diesem Grunde gar nicht am Erfolg von Air Berlin interessiert gewesen wäre, sondern den Geheimauftrag gehabt hätte, den strauchelnden Konkurrenten geordnet der Lufthansa zuzuführen? Gerüchte, gewiss, aber sie gedeihen in diesem Klima.

Es sind Einzelfälle. Aber sie haben erst recht in der modernen Informationsgesellschaft mit ihren sozialen Netzwerken das Potenzial, das Ansehen der Wirtschaft insgesamt zu diskreditieren.

© SZ vom 21.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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