Kommentar:Sparen statt neuer Steuern

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Die EU nimmt für ihr Corona-Hilfsprogramm hohe Schulden auf. Was jedoch fehlt, sind überzeugende Lösungen für deren Tilgung.

Von Björn Finke

Die Frage, wer das alles bezahlen soll, kommt kurz vor Schluss: Die Ergebnisse des historischen EU-Gipfels zum Haushalt und zum neuen Corona-Topf sind in einem 67-seitigen Dokument zusammengefasst. Erst auf Seite 64 finden sich Beschlüsse und Anregungen für neue Einnahmequellen der EU. Doch für die Zukunft der Union und für die finanziellen Interessen ihrer Bürger und Unternehmen sind diese Passagen am Ende deutlich relevanter als vieles, was auf den 63 Seiten vorher behandelt wird. Diese Absätze sind wichtig - und sie sind falsch.

Dabei klingt die Logik erst einmal bestechend: Für den Corona-Hilfstopf wird die EU-Kommission erstmals in ihrer Geschichte im großen Stil Kredite aufnehmen und den Großteil des Geldes als nicht rückzahlbare Zuschüsse an Mitgliedstaaten überweisen. Hauptprofiteure sind Länder, die stark unter der Pandemie leiden oder deren Wirtschaft ohnehin Probleme hat, etwa Italien. Insgesamt sollen 390 Milliarden Euro als schuldenfinanzierte Zuschüsse fließen, und diese Schulden soll die Kommission bis ins ferne Jahr 2058 begleichen. Damit das leichter fällt, wollen die EU-Regierungen der Behörde neue Einnahmen verschaffen.

Auf der entsprechenden Seite des Abschlussdokuments ist zum Beispiel die Rede von einer Abgabe auf unrecycelten Plastikmüll, einer EU-Digitalsteuer, einer Steuer auf Aktiengeschäfte oder einer Ausweitung des Emissionshandelssystems, bei dem Unternehmen Rechte für den Ausstoß an Klimagasen erwerben. Nichts davon würde die Bürger direkt treffen, außer vielleicht die Aktiensteuer - indirekt hätte Brüssels kreative Geldsuche aber Folgen für alle. Schließlich scheidet jede Abgabe, die von der EU erhoben wird und deren Erlöse an sie fließen, als Einnahmequelle für nationale Finanzminister aus. Die müssen dann noch mehr sparen oder andere Steuern erhöhen, wenn das Geld mal wieder knapp ist.

Im Zweifel sollte die EU bei den Agrarsubventionen sparen

In Deutschland sind zum Beispiel die Erlöse einer Aktiensteuer, sollte sie denn jemals kommen, bereits zur Finanzierung der Grundrente verplant. Und würde das Emissionshandelssystem verschärft oder eine Sondersteuer für Digitalkonzerne etabliert, könnten die klammen Finanzminister der EU-Staaten auch diese Einnahmen sicher gut gebrauchen. Klar ist zudem, dass die Unternehmen einen Teil der Zusatzbelastung an die Bürger weitergeben würden, in Form höherer Preise.

Mit neuen EU-Abgaben gelingt also nicht der Zaubertrick, Brüssel mehr Geld zu verschaffen, ohne dass die nationalen Hauptstädte leiden. Zugleich steht außer Frage, dass die 390 Milliarden Euro Schulden aus dem Corona-Topf beglichen werden müssen, und am besten nicht erst bis 2058. Dafür gibt es zwei Methoden, und am klügsten wäre es, beide zu kombinieren: Die erste Methode sieht so aus, dass die Regierungen schlicht ihren Beitrag in den EU-Haushalt aufstocken müssten. Auch das ärgert Finanzminister, auch das wird dazu führen, dass Regierungen woanders Ausgaben kappen müssen. Doch immerhin bliebe Europa weitere Bürokratie erspart - häufiges Beiprodukt neuer Steuern. Außerdem wäre diese Lösung ehrlicher: Anstatt komplizierte EU-Abgaben einzuführen und zu hoffen, dass die Bürger das nicht merken, müssten Politiker den Wählern erklären, dass sie mehr nach Brüssel überweisen und dass dies wegen der Corona-Hilfen richtig und nötig ist.

Die zweite Methode, Geld für den Schuldendienst aufzutreiben, lautet Sparen: Der Gipfel einigte sich nicht nur auf den Corona-Fonds, sondern ebenso auf den EU-Haushaltsrahmen für 2021 bis 2027. Für jedes der sieben Jahre stehen im Durchschnitt gut 150 Milliarden Euro zur Verfügung. Würden davon nur zehn Prozent eingespart, hätte die EU genug übrig, um die 390 Milliarden Euro Schulden über mehrere Jahrzehnte abzustottern.

Allerdings darf nicht bei Programmen gekürzt werden, die Europa stärken. Beispiele dafür sind Mittel für Forschungsförderung, für Grenz- und Klimaschutz oder die Zusammenarbeit bei Rüstungsprojekten. Dort sollte sogar mehr und nicht weniger investiert werden, denn in diesen Bereichen hilft die Gemeinschaft der EU den Ländern dabei, Probleme zu lösen und Fortschritte zu machen, an denen ein Staat alleine oft scheitern würde.

Auf der anderen Seite fließt aber weiterhin ein Drittel des Haushalts in Agrarsubventionen. Hier bietet die Einbindung Brüssels keinerlei Mehrwert, und der Geldsegen bringt Europa nicht voran. Im Gegenteil schadet die Unterstützung der industriellen Landwirtschaft Umwelt und Klima - ein Irrsinn ohnegleichen. Solange die EU sich so etwas leisten will, gibt es keinen triftigen Grund für neue Steuern.

© SZ vom 23.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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