Kommentar:Sneakers im Dieselrauch

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Daimler-Chef Zetsche trägt jetzt Turnschuhe und Jeans, aber das bedeutet noch lange nicht, dass Deutschlands Autoindustrie schon in der Zukunft angekommen ist.

Von Thomas Fromm

Eigentlich lässt sich das Dilemma dieser Branche am Outfit eines einzelnen Mannes festmachen. Jahrzehntelang trug Dieter Zetsche Anzug und Krawatte. Dann - es fing irgendwann in den letzten Jahren an - änderte er schleichend seinen Look. Heute zieht der Daimler-Chef nicht mehr wie ein Daimler-Chef los, sondern wie der Typ von nebenan. Mit verwaschenen Jeans, Vintage-Sneakers und lässigem Jackett. Allerdings bekommt er mehr als der Typ von nebenan: 2017 waren es 8,6 Millionen Euro und damit eine Million mehr als im Vorjahr. Da der Konzern einiges mehr verdiente, verdiente auch Zetsche einiges mehr - so funktioniert die Logik solcher Konzerne.

Rein marketingtechnisch aber will der 64-Jährige lieber für ein cooles Start-up aus irgendeinem Berliner Hinterhof als für einen 130 Jahre alten Traditionskonzern aus Stuttgart stehen. Das Problem ist nur: Selbst wenn man Krawatte, Anzug und Business-Budapester abzieht, bleibt da immer noch der hoch dotierte Chef eines Dax-Konzerns, der im vergangenen Jahr wieder mal einen Milliarden-Rekordgewinn einfuhr. Es ist ein bisschen so wie mit den Autos, die man vertreibt: Da ist viel die Rede von der großen Elektroauto-Offensive. Tatsächlich aber verkauft man von Jahr zu Jahr immer mehr schwere und eher mehr Schadstoffe ausstoßende SUVs. Wie lange das noch so geht? Wahrscheinlich so lange, wie Menschen solche Autos wollen.

Anspruch und Wirklichkeit - die Dinge passen nicht mehr zusammen

Anspruch und Wirklichkeit, Schein und Sein - die Dinge passen nicht mehr zusammen. Dabei trifft es nicht nur Daimler. Als vor ein paar Wochen dubiose Abgastests an Affen bekannt wurden, entschuldigte sich VW-Chef Matthias Müller und nannte die Versuche "unethisch und abstoßend". Der Konzern, der seit September 2015 die Manipulation von Dieselmotoren aufarbeiten muss und für den Krisenkommunikation zum Alltag geworden ist, hatte nun auch noch die Affen am Hals - dabei würde man viel lieber über selbstfahrende Autos und den intelligenten Straßenverkehr von morgen philosophieren.

Dieselabgase und Affen, Umsatzrekorde und Gewinnsteigerungen: In den Konzernen spricht man seit einiger Zeit zwar gerne von der Zukunft und von nachhaltiger Mobilität. Doch die Vergangenheit lässt die Unternehmen nicht los. Jahrzehntelange Konzernkulturen lassen sich eben nicht in die Ecke werfen wie eine alte Krawatte. Und eine neue Kultur lässt sich nicht so leicht überziehen wie ein neues Paar bunte Sneakers.

Der VW-Lastwagen-Vorstand Andreas Renschler sprach, als er jetzt von den Veränderungen in seinem Haus berichtete, von einer zehn Jahre andauernden Phase. Zehn Jahre für einen Kulturwandel - das ist mehr, als man heute für die Entwicklung neuer Autos und ihrer Motoren veranschlagt. Renschler meinte sein Unternehmen VW, er hätte aber genauso gut auch über die Branche insgesamt sprechen können. Denn zur Zukunft der Mobilität gehören nicht nur Elektroautos und neue Verkehrskonzepte. Erst, wenn der Erfolg eines Autokonzerns nicht mehr überwiegend an der Zahl seiner verkauften Autos und der darauf verdienten Gewinnmarge gemessen wird, beginnt in der Autoindustrie die Zukunft. Da können noch so viele Vorstände in Turnschuhen zu Fahrzeugpräsentationen laufen.

Wie sehr die Vergangenheit auf die Gegenwart drücken kann, zeigt sich gerade beim Daimler-Konzern. Als vor zweieinhalb Jahren der Skandal um die Abgasbetrügereien bei VW-Dieselautos hochkam, ging Zetsche, damals noch weitgehend ein Mann mit Anzug und Krawatte, auf größtmögliche Distanz zum Wolfsburger Rivalen. Man halte sich "grundsätzlich an die gesetzlichen Vorgaben" und nehme "keinerlei Manipulationen an unseren Fahrzeugen vor", sagt er damals.

Seit dem Wochenende nun kursieren Berichte, wonach die Stuttgarter weit mehr in den Diesel-Abgasskandal verwickelt sein könnten als bisher bekannt. Vertrauliche US-Ermittlungsakten sollen zu einer Spezial-Software führen, die einzig und allein den Zweck gehabt haben soll, strengere US-Abgastests auf dem Prüfstand zu überstehen. Folge: Auf der Straße sollen die Grenzwerte dann um ein Vielfaches überschritten worden sein.

Wenn die Sache stimmt, dann könnten auf Daimler jetzt nicht nur hohe Strafzahlungen zukommen. Dann wäre es auch so, dass Zetsche damals im September 2015 ziemlich daneben gelegen hat. Und wenn es wirklich so ist, dann sollte der Mann mit den Sneakers das jetzt erklären und der Öffentlichkeit so eine monatelange Debatte ersparen. Je eher die Dinge im Konzern aufgearbeitet werden, desto mehr Zeit hat er für die Zukunft.

© SZ vom 20.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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