Kommentar:Signal an den Süden

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In Brüssel wird über Hilfen für Italien und Spanien gestritten - Moskau und Peking bieten symbolträchtig Unterstützung. Europa sollte sich nicht auseinanderdividieren lassen.

Von Thomas Fromm

Jener Sonntag im März, an dem die ersten russischen Militärfahrzeuge auf dem Militärflughafen Pratica di Mare bei Rom landeten, ist einer der Tage, an den sich die Italiener noch lange erinnern werden. Die Botschaft der Hilfskonvois, die sich in Richtung Norditalien aufmachten, stand ja auch klar und deutlich auf Aufklebern seitlich der Fahrzeuge: "Dalla Russia con amore". From Russia with love.

Liebesgrüße aus Russland. Natürlich ist das mit Amore so eine Sache, wenn Moskau medizinische Ausrüstung ins Krisengebiet rund um Bergamo schickt und auch China mit Masken, Ärzten und Krankenhauspersonal aushilft. Und natürlich ging es da um handfeste Interessenspolitik in einem Land, das längst an seine Grenzen gekommen war - medizinisch, organisatorisch, wirtschaftlich. Aber für die italienischen Familien, die wie jeden Abend vor den RAI-Nachrichten versammelt saßen, ist seitdem irgendwie klar: Wenn es hart auf hart kommt, sind es nicht unbedingt die nördlichen EU-Nachbarn, die sofort zu Hilfe eilen. Neuerdings darf man auch mit Hilfe aus Russland und China rechnen - auch wenn einem die Bilder davon nicht unbedingt gefallen mögen.

Die Macht solcher Fernsehbilder, sie ist stark - und womöglich um einiges stärker als die Bilder konferierender EU-Staats- und Regierungschefs, die an diesem Donnerstag wieder über weitere Hilfen für vom Corona-Virus schwer getroffene Länder wie Italien und Spanien debattieren und womöglich auch streiten werden. Die Mittelmeerländer verlangen gemeinsame Anleihen der Eurozonen-Partner, Staaten wie Deutschland und die Niederlande lehnen dies ab. Geführt wird die Debatte um die sogenannten Corona-Bonds in diesen Tagen alles andere als sachlich - auch deshalb entfalten Bilder wie die vom März eine so starke Wirkung. Aus Brüssel mit Liebe? Das wäre mal ein Slogan!

Die Lage ist verfahren, ausgerechnet in diesen schweren Corona-Zeiten kommen alte Vorurteile wieder hoch. Stereotype und Misstrauen anstelle von Solidarität, Verständnis und offener Kommunikation. Auf der einen Seite der Norden mit seiner (sehr, sehr alten) Unterstellung, der Süden verprasse das Geld der anderen, der Tugendhaften und Sparsamen. Das Bild des stets fantasievollen und lebenslustigen, aber leider nicht sehr zuverlässigen Italieners - ausgerechnet in Zeiten, in denen sich gerade im Norden des Landes furchtbare Dramen abspielen, ist es wieder da. Auf der anderen das Bild des kühlen Kalkulierers, des dominanten Zuchtmeisters und ewigen Klassenstrebers. In Zeiten der Coronakrise können sich solche Bilder auf gefährliche Art und Weise verdichten.

Das wirtschaftlich auch ohne Corona schon angeschlagene Italien fühlt sich im Stich gelassen, und für diejenigen, die schon immer der Meinung waren, dass man von Europa nichts zu erwarten hat und besser auch nichts erwarten sollte, waren die großen Marketing-Aktionen aus Moskau und Peking der Beleg für die Unfähigkeit Brüssels und die Arroganz der Nachbarn nördlich der Alpen. Zum Beispiel für den Chef der rechtsnationalistischen Lega, Matteo Salvini. Für den Rechtspopulisten haben Virus und Europa etwas gemeinsam: Beides muss weg.

Populisten wie Salvini wittern in diesen Wochen ihre historische Chance, ihre antieuropäischen Ressentiments noch weiter im Land zu verbreiten. Diese Chance darf man ihnen nicht geben. Eine kluge europäische Politik sollte daher alles daran setzen, Corona und seine dramatischen wirtschaftlichen Folgen zu überwinden - aber nicht sich selbst. Die Corona-Krise ist, anders als Finanz- und Eurokrise in den vergangenen Jahren, eine Krise, die weit über die Finanzmärkte hinaus reicht. Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte spricht vom "größten Schock seit dem letzten Krieg", daher brauche es die "ganze Feuerkraft" der EU. Im Grunde weiß man auch im Norden Europas, dass er Recht hat. Die Partner in der EU sollten sich - auch wenn sie bereits ein Rettungspaket von bis zu 540 Milliarden Euro vorgesehen haben - auf diesen weiteren Weg einlassen. Nicht für immer, und auch nicht, um auf breiter Front Schulden zu verteilen und zu vergemeinschaften. Ein Wiederaufbau-Fonds mit gemeinschaftlichen Anleihen, mit klar definierten inhaltlichen Zielen und zeitlich begrenzt: Es wäre ein Signal nicht nur an Rom oder Madrid, sondern auch an Finanzspekulanten, die nach dem Corona-Desaster auf den weiteren Niedergang Italiens wetten dürften. Und es wäre auch ein Signal an die Welt. Europa hält zusammen, hilft sich - und es lässt sich schon gar nicht in Nord und Süd aufbrechen.

© SZ vom 21.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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