Kommentar:Selbst schuld

Lesezeit: 3 min

Den Anspruch auf Urlaub ist hart erkämpft. Trotzdem wird er oft aufgeschoben. Egal wie schwierig die Lage im Job ist: Wer den Anspruch verfallen lässt, schadet sich selbst.

Von Silvia Liebrich

Früher war angeblich vieles besser. Diesem Vorurteil fallen selbst aufgeklärte Denker hin und wieder anheim. Für die Arbeitswelt gilt dies jedoch in vielerlei Hinsicht nicht. Weberinnen oder Bergarbeiter schufteten zu Beginn der Industrialisierung 14, 15 Stunden am Tag, sogar oft noch an den Wochenenden. Anspruch auf Urlaub? Anfang des 19. Jahrhunderts schien dergleichen undenkbar.

Heute bekommen Arbeitnehmer in Deutschland im Schnitt 30 Tage Urlaub pro Jahr, ein von Arbeitergenerationen hart erkämpftes Privileg. Das Gesetz verlangt, dass dieser Anspruch auf das Kalenderjahr befristet ist und der Urlaub in diesem Zeitraum genommen wird. Und das ist gut so, zum Schutz von Beschäftigten und ihrer Gesundheit. Sonst würden viele Menschen immer mehr Urlaubstage anhäufen und vor sich herschieben. Entweder weil sie selbst das so wollen, oder weil sie sich vom Arbeitgeber unter Druck gesetzt fühlen. Beides führt zum selben Ergebnis: einer unausgeruhten Arbeitskraft, die keine große Hilfe ist.

Das Bundesarbeitsgericht hat diese Regelung nun noch einmal präzisiert: Zwar müssen Arbeitgeber ihre Beschäftigten darauf hinweisen, wie viel Urlaub ihnen noch zusteht und wann er verfällt. Dafür, dass diese Tage auch fristgerecht genommen werden, ist jedoch jeder Mitarbeiter selbst verantwortlich. Kein Arbeitgeber muss also seine Mitarbeiter nach Hause schicken. Sprich: Wer seinen Urlaub nicht antritt und verfallen lässt, ist selbst schuld.

Unternehmen und öffentliche Arbeitgeber werden dies begrüßen. Aber auch im Sinne der Beschäftigten ist dies die richtige Entscheidung. Firmen, die bestimmen, wann ihre Leute in die Ferien gehen, das käme einer Entmündigung gleich, der Aufschrei von Gewerkschaftsseite wäre vermutlich groß. Beschäftigte sind erwachsene Menschen - jugendliche Berufsanfänger ausgenommen - und tragen die Verantwortung für sich und ihr Leben. Dazu gehört auch, eine Balance zwischen Arbeit, Familie und Freizeit zu schaffen.

Wer von seinem Arbeitgeber zum Jahreswechsel mitgeteilt bekommt, dass bei ihm immer noch 20 Urlaubstage und mehr auf dem Konto stehen, hat in der Regel etwas falsch gemacht: Entweder sie oder er hat schlecht geplant oder hält sich für unentbehrlich. Andere arbeiten aus Angst vor Jobverlust lieber durch. Und dann gibt es noch die Branchen, die zu chronischer Unterbesetzung neigen. Wer etwa als Polizist, Krankenpfleger oder S-Bahn-Fahrer arbeitet, muss sich in Dienstpläne einreihen, deren Lücken unerbittlich geschlossen werden müssen.

In manchen Firmen gehört das Anhäufen von Urlaubstagen zum guten Ton - eine Unsitte

Als überzeugende Ausrede für nicht genommenen Urlaub taugt selbst das Argument der Unterbesetzung nur bedingt. Sicher ist es Aufgabe von Firmen, staatlichen Stellen und öffentlichen Einrichtungen, für eine ausreichende Personaldecke zu sorgen. Druck auf den Arbeitgeber können Beschäftigte dann ausüben, wenn sie zusammenhalten und offensiv auf ihrem Urlaubsanspruch beharren. Wer dies nicht tut, trägt dazu bei, das marode System am Laufen zu halten, und bringt sich so selbst immer wieder in Nöte.

Fest steht auch: Je früher Urlaubstage angemeldet werden, umso besser kann der Arbeitgeber planen, umso eher werden Lücken im Dienstplan sichtbar. Außerdem können die freien Tage gerechter im Team verteilt werden. Wer dabei nicht zu kurz kommen will, ist also gut beraten, schon zum Jahresbeginn einen Urlaubsplan einzureichen, der auch eine Notreserve für unvorhergesehene Ereignisse vorsieht. Wer Familie hat, weiß schon früh, wann er mit seinen Kinder verreisen oder einfach nur ein paar schöne Tage zu Hause verbringen kann. Wer nicht auf Schulferien angewiesen ist, verfügt über weitaus größeren Spielraum. All dies gilt es für den Arbeitgeber fair abzuwägen.

Eine Unsitte ist, dass das Anhäufen von Urlaubstagen und Überstunden in manchen Bereichen noch immer zum guten Ton gehört. Vor allem Beschäftigte im mittleren und oberen Management brüsten sich gern damit. Sie halten dies fälschlicherweise für ein Zeichen ihrer Leistungsfähigkeit, nach dem Motto: Wer viel arbeitet, ist unersetzlich. Studien zeigen immer wieder, dass das Gegenteil der Fall ist. Menschen, die ihre Arbeit im Zeitrahmen nicht schaffen, verzetteln sich oft, können nicht richtig delegieren, oder es mangelt an Organisationstalent. Wer sogar noch aus dem Urlaub im Büro anruft, signalisiert seinen Kollegen, dass er ihnen nicht vertraut, und nimmt ihnen damit die Motivation. Chefs, die ihren Mitarbeitern eine solche Kultur vorleben und auf Urlaub verzichten, sind schlechte Vorbilder und schaden dem ganzen Unternehmen.

© SZ vom 21.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: