Kommentar:Scheitern als Chance

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Bei TTIP ist das letzte Wort zwar noch nicht gesprochen. Scheitert das Abkommen, wäre das aber auch eine Chance für einen modernen und fairen Freihandel.

Von Silvia Liebrich

Die Ankündigung kam nicht unerwartet, erstaunlich war jedoch die Art und Weise. Beinahe beiläufig ließ die EU-Kommission kurz nach den Wahlen in den USA verlauten, aus dem Freihandelsabkommen TTIP werde nun vermutlich nichts. Die Gespräche zwischen der EU und den USA seien für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt. Zwar ist das letzte Wort damit nicht gesprochen. Scheitert das Abkommen aber tatsächlich in absehbarer Zeit, sollte die EU nicht mit dem Finger auf Donald Trump zeigen. Für ein Aus von TTIP gäbe es ganz andere, durchaus plausiblere Gründe.

Tatsache ist, dass sich beide Seiten in drei Jahren und 15 Gesprächsrunden in wesentlichen Punkten kaum nähergekommen sind. Dabei mangelte es nicht am politischen Willen. Stattdessen zeigte sich immer deutlicher, dass die wirtschaftlichen Interessen selbst nach zahlreichen Treffen weit auseinandergehen, etwa auf dem Gebiet von Landwirtschaft und Ernährung. Ein Kompromiss wäre für beide Seiten mit schmerzhaften Zugeständnissen verbunden, so viel steht fest. Unterschiedliche Auffassungen gibt es auch beim Investorenschutz, der Vergabe von öffentlichen Aufträgen oder in Bezug auf Arbeitnehmerrechte. Zudem zeichnete sich ab, dass das Versprechen, bestehende Standards würden sich keinesfalls verschlechtern, kaum haltbar ist. Höhere Standards für Verbraucher- und Umweltschutz waren ohnehin nie das Ziel.

Kaum ein anderes Projekt der Europäischen Union war in den vergangenen Jahren so umstritten. Hunderttausende gingen in den vergangenen Monaten europaweit auf die Straße. Ihr Protest richtete sich zu Recht gegen ein Handelsbündnis, das darauf abzielt, den Einfluss von Wirtschaft und Konzernen auf politische Entscheidungen zu vergrößern und die Mitspracherechte der Parlamente zu schwächen. Das kann nicht im Sinne der Bürger sein und schadet der Demokratie. Außer Frage steht aber auch: Ein reger und fairer Handel über den Atlantik hinweg kann von Vorteil für alle sein, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Doch zumindest über Letzteres lässt sich streiten.

Freihandelsabkommen dürfen nicht ausgrenzen, sie müssen verbinden

Trotzdem liegt im Scheitern der europäisch-amerikanischen Verhandlungen auch ein großes Risiko. Denn damit könnte das Klima so vergiftet sein, dass ein neuer Anlauf für ein besseres Abkommen schwierig wird. Dabei wäre ein offener und transparenter Handel wichtiger denn je, für Europa und die Vereinigten Staaten, aber auch den Rest der Welt. In einem globalen Umfeld, in dem nationalistische Strömungen stärker werden, können stabile Wirtschaftsbeziehungen Verbindungen schaffen, die auf politischer Ebene schwieriger werden.

Nötig ist ein Freihandel, der gerecht und offen für alle ist. Die Abkommen der Zukunft dürfen nicht ausgrenzen, sie müssen verbinden. In diesem Sinne war TTIP von Grund auf falsch angelegt, als Bollwerk etwa gegen die Wirtschaftsgroßmacht China und den widerspenstigen Handelspartner Russland. Gemeinsam würden Europa und die USA den größten Wirtschaftsraum der Welt bilden - und könnten so andere Länder ausschließen oder ihnen ihre Spielregeln aufzwingen, zu deren Nachteil.

Die Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte hat viele Gewinner, aber auch zahlreiche Verlierer hervorgebracht, sowohl in den reichen Ländern des Westens also auch in den armen Regionen dieser Welt. Viele Menschen fühlen sich abgehängt, sind wütend oder verängstigt. Wirksamstes Gegenmittel ist ein globaler Handel mit fairen und transparenten Regeln. Freihandelsabkommen können dabei einen entscheidenden Beitrag leisten, indem sie andere einladen, sich zu beteiligen, anstatt sie zu bevormunden.

Wäre der TTIP-Vertrag wie geplant erst einmal abgeschlossen, gäbe es kaum ein Zurück, jetzt schon erkennbare Fehler wären nicht korrigierbar. In einem möglichen Scheitern der Verhandlungen liegt deshalb eine große Chance - nämlich die, es besser zu machen. Die Europäische Union bekäme so die Möglichkeit, ihre Handelspolitik neu auszurichten. Bisher werden Freihandelsabkommen vor allem bilateral mit einzelnen Ländern ausgehandelt. Das Ergebnis ist ein Sammelsurium von mehr als 30 EU-Verträgen, die sich zum Teil gegenseitig behindern.

Der Versuch, auf Ebene der Welthandelsorganisation alle Länder auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, ist vor Jahren gescheitert. Doch was hindert Europa daran, mit möglichst vielen Handelspartnern an einem Strang zu ziehen und so neue Standards in der Handelspolitik zu setzen? Dafür braucht es weltweites Ansehen und Durchsetzungsvermögen, über das die EU durchaus verfügt. Es wäre einen Versuch wert.

© SZ vom 17.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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