Kommentar:Runter mit den Provisionen

Lesezeit: 2 min

Die Versicherer kämpfen mit einer großen Lobby-Kampagne um ein überholtes Geschäftsmodell. Sie wollen verhindern, dass Berlin Abschlussprovisionen für Lebenspolicen begrenzt. Besonders klug ist das nicht.

Von Herbert Fromme

Deutschland hat immer noch die höchste Dichte an Versicherungsvermittlern in der Welt. Anfang Juli waren 206 000 Frauen und Männer registriert. Aber ihre Zahl sinkt spürbar, im ersten Halbjahr um 15 000. Ältere Vertreter und Makler gehen in den Ruhestand, es mangelt an Nachwuchs, der Beruf gilt als unattraktiv. Bei einigen Versicherungsgesellschaften löst das Unruhe aus. Sie haben nicht gelernt, auch online Policen abzusetzen und befürchten, ohne die flinken Verkäufer im Wettbewerb auf der Strecke zu bleiben. Trotzdem sollten die Versicherer nicht versuchen zu retten, was nicht mehr zu retten ist.

Provisionen sind eine Haupteinnahmequelle für Vertreter. Die Abschlussprovisionen für Lebensversicherungsverträge - wie von der Bundesregierung geplant - zu begrenzen, würde den Druck auf das bisherige Geschäftsmodell vieler Gesellschaften erhöhen. Deshalb erlebt Berlin gerade eine große Lobbykampagne dieser Versicherer und einiger Großvertriebe, mit der sie das Vorhaben der Koalition verhindern oder zumindest abmildern wollen. Besonders klug ist das nicht.

Nötig sind Vertreter, die wirklich beraten wollen und nicht nur verkaufen

Statt verzweifelt am gegenwärtigen, zutiefst unbefriedigenden Zustand festzuhalten, sollten sich die Versicherer über ihre Zukunft Gedanken machen. Sie müssen in digitale Vertriebsmodelle investieren. Sie sollten aufhören, möglichst komplexe Versicherungsangebote auf den Markt zu bringen, die niemand ohne Hilfe des Vermittlers versteht. Und sie dürfen ihre Angebote vor allem in der Altersvorsorge nicht länger unter dem Gesichtspunkt entwerfen: Was nutzt dem Vertrieb? Stattdessen müssen sie tatsächlich das Kundeninteresse in den Mittelpunkt stellen. Immer noch werden viele falsche Verträge verkauft, weil die Provisionen höher sind als bei den richtigen.

Die Versicherungsvertreter werden nicht verschwinden, aber ihre Zahl wird drastisch sinken. Heute sind sie in erster Linie Verkäufer. Aber die Versicherer versuchen gerade, ihren Kunden gegenüber als Lebensberater aufzutreten: Berater für die Gesundheit mit Fitness-Apps und passenden Tarifen. Berater für die Mobilität mit Telematik-Policen, eigenen Gebrauchtwagenhändlern und Werkstätten. Berater für die Altersvorsorge. Und Berater für die digitale Generation mit Schutz gegen Cyberattacken und Schmutzkampagnen in sozialen Medien.

Dafür brauchen die Versicherer echte Vertreter, die wirklich beraten wollen und nicht nur verkaufen. Sie müssen ein ganz normales Gehalt bekommen und nicht über ein Provisionssystem bezahlt werden, das den schnellen Abschluss fördert. Sie müssen digital ausgestattet sein und Kunden ebenso gut über Skype helfen können wie im persönlichen Gespräch.

In der Versicherungsbranche wird gern ein abgedroschener Satz zitiert: "Versicherungen verkaufen sich nicht, sie müssen verkauft werden." Deshalb brauche man Vertreter, die (provisions)hungrig sind und deshalb viele Verträge absetzen. Nur so lasse sich die private Altersvorsorge erhalten und die Altersarmut verhindern.

Das ist blanker Unsinn. Lebensversicherungen oder Riester-Verträge, die mit hohen Provisionen belastet sind, werfen kaum Renditen ab. Sie führen zu Frust bei den Versicherten, wenn sie für lebenslanges Ansparen mit Mini-Privatrenten abgespeist werden. Immer noch zahlen die Kunden der deutschen Lebensversicherer fast sieben Milliarden Euro jährlich an Abschlussprovisionen für die Vermittler, trotz der niedrigen Zinsen. Das wird von ihrer Rendite und damit der Privatrente abgeknapst. So kann die private Altersversorgung nicht gedeihen.

Dabei werden die meisten Vertreter nicht reich. Ihre Verbände sprechen von Durchschnittsumsätzen um 50 000 Euro pro Jahr. Auch wenn diese Zahl möglicherweise etwas niedriggerechnet wurde, ist doch wahr, dass die Einkünfte der Mehrzahl der Vertreter nicht sehr hoch sind.

Ohne Provisionen keine Vorsorge? Umgekehrt wird ein Schuh draus: Seit Jahrzehnten bearbeiten die Versicherer mit Hunderttausenden Vertretern und Maklern mit Milliardenkosten die Bevölkerung. Dennoch gibt es gewaltige Lücken in der Vorsorge. Rund 15 Prozent der Haushalte haben nicht einmal die grundlegende private Haftpflicht.

Das jetzige System hat versagt, es nutzt weder Kunden, Vertretern noch Versicherern. Großbritannien, die Niederlande und die nordischen Länder haben reagiert und Provisionen auf Lebensversicherungen verboten. Die Bundesregierung sollte ebenfalls entschlossen handeln. Der Lobbydruck darf nicht dazu führen, dass es mit der Begrenzung der Provisionen wieder nichts wird.

© SZ vom 30.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: