Kommentar:Risiken und Nebenwirkungen

Lesezeit: 3 min

Pharma-Firmen wollen neue Medikamente schnell auf den Markt bringen, viele Studien finanzieren sie selbst. Daher sollten sie transparent damit umgehen - aber daran hapert es oft. Bei Fehlern müssen sie daher bestraft werden.

Von Kathrin Zinkant

Eigentlich geht es doch um eine Lappalie. Um einen Einzelfall, wie der CEO von Novartis nach Bekanntwerden der Datenmanipulationen in seinem Hause es nannte. In einem einzigen Labor waren Testergebnisse für die Zulassung einer neuen Gentherapie verfälscht worden. Die verantwortlichen Mitarbeiter wurden entfernt. Das betroffene Medikament Zolgensma gilt weiterhin als sicher. Also alles nicht so schlimm - oder?

Doch, alles schlimm. Es müssen nämlich nicht erst Patienten gefährdet werden, damit die Selbstgerechtigkeit großer Pharmaunternehmen augenfällig wird. Es reicht, dass Datenmanipulationen bei einer Medikamentenzulassung als eine Lappalie dargestellt werden. Manipulationen von Daten, für die Novartis die Verantwortung trägt. Weil der Konzern, wie alle großen Arzneimittelhersteller, höchstselbst diese Daten produziert.

Wer bei Studien trickst, bringt Menschen in Gefahr und muss daher bestraft werden

Es ist ein Problem, von dem man sich vor einiger Zeit noch erhofft hatte, dass es durch Transparenzinitiativen zumindest schrittweise kleiner würde. Doch so, wie sich der pharmazeutische Markt derzeit entwickelt, ist eher das Gegenteil der Fall. Beschleunigte Zulassungsverfahren, durch die auch moderne Medikationen wie Gen- oder Immuntherapien noch schneller auf den Markt katapultiert werden sollen, schaffen neuen Raum für angebliche Lappalien. Dazu kommt die großartige Idee, Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit neuer Medikamente gar nicht mehr umfassend vor, sondern teils nach der Zulassung zu sammeln, wenn die neue Arznei bereits an Patienten eingesetzt wird und Umsatz macht.

Das Ziel soll sein, die neuen Arzneien schneller zum Patienten zu bringen - um helfen zu können, um Leben zu retten. Was eine gute Sache ist, aber einem Pharmaunternehmen geht es naturgemäß nicht allein ums Menschenwohl, sondern auch um sehr viel Geld. Arzneimittel herzustellen und zu vermarkten ist ein hohes Risiko. Bis zu zwei Milliarden Dollar kostet es, ein Medikament zur Marktreife zu bringen. Moderne Biologicals, also Zell- oder Gentherapien, von denen die Patienten oft nur eine einzige Dosis benötigen, müssen dieses Investment recht kurzfristig wieder in die Kasse holen. Dieser Umstand erklärt zumindest teilweise die hohen Preise neuer Medikamente, von mehreren Hunderttausend Dollar bis zum derzeitigen Spitzenwert von 2,1 Millionen Dollar für eine Dosis von Zolgensma. Und es erklärt auch, warum ein Unternehmen mit den von ihm selbst erhobenen Daten alles daran setzt, möglichst rasch, vor der Konkurrenz und über Hindernisse hinweg, eine Marktzulassung für seine neuesten Entwicklungen zu bekommen.

Nicht, dass das sehr einfach wäre. Es gibt Regeln, es gibt wachsame Behörden, es ist nicht mehr wie zu Zeiten von Contergan, als ein neues Medikamente lediglich registriert werden musste. Doch das besonders teure an Medikamentenentwicklungen sind eben nicht die Wirkstoffe selbst oder die Grundlagenforschung, die ohnehin oft noch an öffentlichen Forschungseinrichtungen stattfindet. Das teure sind jene Studien, die zeigen müssen, dass eine neue Arznei oder Therapie sicher ist und wirkt, bevor sie auf die Menschheit losgelassen wird. Und weil der Staat dieses Geld nur in seltenen Fällen zur Verfügung stellen kann, werden die meisten zulassungsrelevanten klinischen Studien von der solventen Pharmaindustrie eben selbst durchgeführt.

Kann man etwas daran ändern? Die unangenehme Antwort heißt: vermutlich nicht. Konzepte, die von Pharmafirmen gespeiste Geldtöpfe vorsehen, aus denen dann unabhängige Studien finanziert werden können, sind absehbar nicht realisierbar. Möglich ist jedoch, die gewonnenen Daten ans Licht zu zerren und, noch wichtiger, den Unternehmen ihr Selbstverständnis zu nehmen, sie seien vornehmlich sich und ihren Aktionären Rechenschaft schuldig. Genau das zeigt der Fall Novartis: Man wusste zwar im März schon, dass im Rahmen der Zulassung von Zolgensma manipulierte Daten im Spiel waren. Aber man befand es für hinreichend, sich erst nach der Zulassung im eigenen Hause damit zu befassen - anstatt den Betrug gleich den Behörden zu melden. So etwas ist kein Einzelfall, es ist auch keine Lappalie. Es ist eine Haltung.

Diese Haltung gehört bestraft, und zwar empfindlich. Mitarbeiter der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA haben bereits angedeutet, dass Novartis für seinen Einzelfall bestraft werden könnte. Man kann nur hoffen, dass es so kommt. Es wäre nicht zuletzt ein Signal für die drei Viertel aller US-Pharmafirmen, die nicht bereit sind, transparent mit ihren Studiendaten umzugehen.

© SZ vom 09.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: