Kommentar:Richtige Wahl

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Eine größere Mehrheit gibt der britischen Premierministerin Theresa May Spielraum für Kompromisse. Das vereinfacht die Brexit-Verhandlungen und mindert das Risiko eines chaotischen Austritts aus der Europäischen Union.

Von Björn Finke

Die Finanzmarkt-Profis fällten ihr Urteil schnell. Und es war wohlwollend. Als die britische Premierministerin Theresa May vorige Woche Neuwahlen ankündigte, stieg sofort der Pfundkurs. Investoren gehen davon aus, dass Mays Schachzug die Brexit-Verhandlungen vereinfacht und das Risiko eines chaotischen Austritts mindert.

Mit diesem Urteil liegen die Finanzmärkte richtig. Die Entscheidung, im Juni ein neues Parlament wählen zu lassen, verringert aller Voraussicht nach tatsächlich die Gefahr, dass die Gespräche scheitern. Bis Frühjahr 2019 müssen sich Großbritannien und die EU auf die Bedingungen der Trennung und auf einen Rahmen für die künftigen Beziehungen einigen. Dann sind die Briten draußen.

Die Zeit ist also knapp. Dass May trotz absoluter Mehrheit im Parlament Wahlen ansetzt, wirkt da erst einmal wie eine unnötige Ablenkung. Schließlich ist ihre Regierung nun bis Juni eine Regierung auf Abruf. In Wirklichkeit geht durch Mays Manöver allerdings keine Zeit verloren, denn der Gesprächspartner EU muss sich noch auf die Verhandlungen vorbereiten. Mitgliedstaaten und EU-Kommission einigen sich gerade auf ihre Positionen, in Frankreich wird der Präsident gewählt, in Deutschland bald der Bundestag.

Eine größere Mehrheit gibt Theresa May Spielraum für Kompromisse

Ein gewichtigeres Argument gegen Mays Beschluss betrifft Großbritannien selbst. Die Gesellschaft ist gespalten zwischen Brexit-Befürwortern und -Gegnern, und Kritiker klagen, dass der Wahlkampf die Gräben vertiefen werde. In der Tat wird der EU-Austritt das beherrschende Thema sein. Meinungsforscher erwarten, dass Mays Konservative ihre Mehrheit deutlich ausbauen, indem sie Dutzende Sitze von der größten Oppositionspartei Labour erobern. Und zwar vor allem dort, wo die Bürger für den Brexit gestimmt haben. Zugleich werden wohl die betont EU-freundlichen Liberaldemokraten den Konservativen einige Sitze in jenen Wahlkreisen abnehmen, die für den Verbleib in der Union votiert haben.

Nun ist eine Spaltung der Gesellschaft immer beklagenswert, und May hat mit ihrem harten Brexit-Kurs diese Spaltung noch verschlimmert. Aber es kann nur gut sein für das Land, dass diese Frontlinien nach den Neuwahlen klarer im Parlament abgebildet werden.

Der größte Vorteil des vorgezogenen Urnengangs ist jedoch, dass danach erst 2022 wieder gewählt werden muss. Ansonsten hätten die Briten 2020 ein neues Parlament bestimmt. Das hätte die Brexit-Gespräche enorm belastet. Denn es gilt als unmöglich, dass sich London und Brüssel bis zum Austritt sowohl auf die Details der Trennung als auch auf einen Handelsvertrag einigen können. Nach Mays Vorstellungen wird das Land nach dem Brexit nicht am Binnenmarkt teilnehmen. Ein Freihandelsabkommen soll aber verhindern, dass Zölle eingeführt werden.

Träten die Briten ohne Handelsvertrag aus, würde das die Firmen und Banken im Königreich - und auf dem Festland - hart treffen. So ein chaotischer Brexit ist der Albtraum der Manager; die Volkswirtschaften sind eng verflochten. Allerdings brauchten die EU und Kanada sieben Jahre, um ihr Freihandelsabkommen festzuzurren. Deswegen werden sich London und Brüssel bis 2019 wohl höchstens auf die Grundzüge des Vertrags einigen.

Nötig ist daher eine Übergangsphase nach dem Brexit: 2019 würde sich dann für Unternehmen und Bürger nicht viel ändern - und das so lange nicht, bis Brüssel und London das neue Handelsabkommen unterschrieben haben. Auch die britische Regierung räumt inzwischen ein, dass eine Übergangsregelung gebraucht wird. Großbritannien müsste sich aber in diesen Jahren weiter an EU-Regeln halten, müsste zum Beispiel Einwanderer akzeptieren. Es wäre für May sehr schwierig, ihrer Konservativen Partei eine derartige Übergangsregelung ein Jahr vor Parlamentswahlen zu verkaufen. Doch nun liegen zwischen dem Brexit 2019 und dem Urnengang drei Jahre.

Baut May im Juni wie erwartet ihre Mehrheit aus, muss sie sich zudem weniger Sorgen wegen radikaler EU-Hasser in der eigenen Fraktion machen. Die bisherige knappe Mehrheit im Parlament könnte es Abweichlern ermöglichen, die Regierungschefin zu erpressen. Diese Gefahr will May mit den Neuwahlen bannen. Einige konservative Europa-Gegner verlangen etwa, dass die Premierministerin EU-Forderungen nach milliardenschweren Ausgleichszahlungen schnöde zurückweist. Manche dieser EU-Feinde hoffen sogar darauf, dass die Gespräche über ein Handelsabkommen scheitern, weil ihnen jedweder Vertrag mit Brüssel suspekt ist.

Hat May nach den Wahlen mehr Spielraum für Kompromisse, wäre das gut für Großbritannien. Und für Europa.

© SZ vom 24.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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