Kommentar:Richtige Geldpolitik

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Europas höchstes Gericht stützt die Geldpolitik der EZB. Zu Recht. Die Notenbank ist für stabile Preise zuständig, aber auch für ein stabiles Finanzsystem.

Von Ulrich Schäfer

Die meisten Deutschen hängen der irrigen Meinung an, der einzige Auftrag der Europäischen Zentralbank sei es, für stabile Preise zu sorgen - und für sonst nichts. Und die EZB dürfe nur die Zinsen anheben oder senken - und sonst nichts tun. Auch viele Ökonomen und Journalisten vertreten diese Auffassung, und sie wird nicht dadurch richtiger, dass sie ständig wiederholt wird.

Tatsächlich ist das Mandat der EZB sehr viel weiter gefasst. Der Europäische Gerichtshof hat das an diesem Dienstag wieder einmal deutlich gemacht und damit zum zweiten Mal all jenen Kritikern eine Abfuhr erteilt, denen die gesamte Richtung der EZB nicht passt. Diese Kritiker stören sich daran, dass die Währungshüter in großem Stil Staatsanleihen aufkaufen, um die Wirtschaft in Europa anzukurbeln; sie erheben den Vorwurf, dass die EZB damit klammen Euro-Staaten eine monetäre Finanzierung ihrer Haushalte ermögliche, und das sei verboten.

Diese Vorwürfe verfangen in Deutschland besonders gut, selbst das Bundesverfassungsgericht zeigte vor fast fünf Jahren eine gewisse Sympathie für die Argumentation jener Kläger, die damals gegen die EZB zu Felde zogen, unter ihnen der Münchner Anwalt und CSU-Politiker Peter Gauweiler. Karlsruhe wandte sich damals an den Europäischen Gerichtshof, in der Hoffnung, die Luxemburger Richter würden ihrer Vorlage folgen - doch diese taten das nicht und wiesen die Vorlage der Verfassungsrichter brüsk zurück. Und auch jetzt, nachdem Gauweiler gemeinsam mit dem AfD-Gründer Bernd Lucke, dem Ökonomen Joachim Starbatty und Unternehmern wie Heinrich Weiss, Patrick Adenauer und Jürgen Heraeus erneut vor das Bundesverfassungsgericht gezogen ist, wiesen die EuGH-Richter die Bedenken der Kläger zurück.

Die EZB ist nicht nur für stabile Preise zuständig, sondern auch für ein stabiles Finanzsystem

Der Europäische Gerichtshof tat das aus gutem Grund. Denn wenn man die entsprechenden Passagen im EU-Vertrag liest, erkennt man schnell, dass die EZB eben nicht bloß für stabile Preise zu sorgen hat. Zum Beispiel soll die Notenbank - sofern die Stabilität der Preise dadurch nicht gefährdet ist - auch die allgemeine Wirtschaftspolitik der EU unterstützen. Ihr obliegt zudem das "reibungslose Funktionieren der Zahlungssysteme" und die "Stabilität des Finanzsystems". Sie muss also eingreifen, wenn an den Finanzmärkten ein Kollaps droht - so geschehen in der Bankenkrise 2008; und so geschehen nach 2012, als Europas Wirtschaft in eine schwere Rezession stürzte und die Währungsunion zu zerbrechen drohte.

In einer dramatischen Krise reicht es nicht aus, bloß die Leitzinsen zu senken, also die Zinsen für kurzfristige Kredite. Wenn nichts mehr hilft, muss eine Notenbank auch zu anderen Maßnahmen greifen - etwa zum Aufkauf von Staatsanleihen, um so auch die langfristigen Zinsen zu drücken. Solche sogenannten Offenmarktgeschäfte sind der EZB laut ihrem Statut - entgegen der landläufigen Meinung - erlaubt, sie sind ein durchaus gängiges Instrument der Geldpolitik, solange die Notenbank gewisse Regeln einhält.

Das war Mario Draghi, dem Präsidenten der EZB, von Anfang an bewusst. Schon 2012, als er ankündigte, die Notenbank werde alles tun, was nötig ist, um den Euro zu retten ("whatever it takes"), fügte er einen wichtigen Halbsatz hinzu, der bis heute so gut wie nie zitiert wird: Die EZB werde sich dabei innerhalb ihres Mandats bewegen ("within its mandate"). Deshalb kauft die EZB bis heute nicht nach Lust und Laune Staatsanleihen, sondern setzte sich bewusst Grenzen. Sie erwirbt nicht mehr als 33 Prozent aller ausstehenden Anleihen eines Euro-Staats, und sie kauft diese auch nicht beim Finanzminister, sondern - nach Ablauf einer Sperrfrist - von privaten Investoren.

Natürlich profitieren die Euro-Staaten davon, dass die EZB auf diese Weise die langfristigen Zinsen senkt, Kredite werden billiger, Schulden lassen sich leichter bedienen. Aber einen ähnlichen Effekt hat es auch, wenn die EZB sich auf ihre klassischen Instrumente beschränken würde: Senkt sie den Leitzins, verändert sich ebenfalls das Zinsgefüge an den Märkten - und davon profitieren nicht bloß Firmen und Verbraucher, die sich leichter Geld leihen und mehr leisten können, sondern es nützt auch den Finanzministern, die günstiger Schulden aufnehmen können. All das beeinflusst die Wirtschaft insgesamt.

Das bedeutet: Egal was die Notenbank tut - es lässt sich nie eine messerscharfe Trennlinie zwischen ihrer Geld- und der allgemeinen Wirtschaftspolitik ziehen. Mithin läuft der Vorwurf, die EZB betreibe entgegen ihres angeblichen Mandats auch Wirtschaftspolitik, ins Leere; tatsächlich ist genau dies Teil ihres Mandats.

© SZ vom 13.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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