Kommentar:Rettet die Innenstädte

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Viele Händler stehen vor dem Aus, aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Zentren veröden. Auch dank der Hilfe von Google und Amazon können Citys attraktiver werden, als sie es heute sind. Die verantwortlichen Akteure müssen jetzt klug handeln.

Von Michael Kläsgen

Keine Frage, da kommt jetzt einiges zu auf die Innenstädte. Viele Geschäfte werde schließen, Restaurants dichtmachen, auch den ein oder anderen Friseur oder Kneipier wird es treffen und viele andere. Corona hat schon viel angerichtet und wird weitere schlimme Folgen haben. Für jeden Betroffenen ist das schmerzhaft und extrem bedauerlich. Doch wenn man über die Einzelschicksale hinausblickt, steckt in dieser Krise gerade auch für die Innenstädte die Chance, für die breite Bevölkerung noch attraktiver zu werden als es bisher war.

Wenn die großen amerikanischen Internetkonzerne ihren Teil dazu beitragen wollen, immer gern, solange ihre Macht nicht ausufert. Es bleibt einem daher schon aufgrund echter Alternativen gar nichts anderes übrig, als zu begrüßen, dass Google jetzt Händlern, die auf beschämende Weise bisher den Anschluss an das Digitalzeitalter verschlafen haben, helfen will, endlich den Schritt in den Onlinehandel zu wagen. Wer könnte das sonst tun? Amazon? Ja, schon, und natürlich tut der Versandhändler das längst, mit wachsendem Erfolg und ungeachtet aller Bedenken, hier könnte sich jemand ein Monopol erarbeiten und große Abhängigkeiten schaffen. Gewiss kann man davon träumen, die 250 000 Händler, die Google jetzt anschreibt, hätten sich vor Jahren einer der etlichen regionalen Internetdienstleister angeschlossen - haben sie aber nicht.

Erschreckende 50 Prozent aller Händler in Deutschland haben auch im Jahr 2020 keine eigene Website. Das ist nicht nur unfassbar, sondern auch verantwortungslos gegenüber möglichen Mitarbeitern. Wer heute im Internet nicht auffindbar ist, der existiert für viele nicht. Corona hat das schonungslos offengelegt. Viele Verbraucher suchten während des Shutdowns im Netz gezielt nach den Namen bestimmter Läden oder Lokale, um nachzusehen, ob sie geöffnet haben. Wer da nicht präsent war, hatte von vornherein verloren. Selber wenn er geöffnet hatte, entging ihm womöglich existenziell wichtiges Geschäft. Es entbehrt nicht bitterer Ironie, dass nun ausgerechnet viele der Zuspätgekommenen in der Stunde der höchsten Not offensichtlich keine andere Wahl haben, als sich den Giganten des Netzes anzudienen, nur um des bloßen Überlebens willen.

Im Internet sichtbar zu sein, ist heute unabdingbar für stationäre Händler. Den Onlinehandel gegen den stationären Handel ausspielen zu wollen, hat keinen Sinn. Beides gehört für stationäre Händler zusammen und bedingt einander. Das eine funktioniert nicht ohne das andere, es handelt sich nicht um zwei antagonistische Pole. Deswegen geht auch die Rechnung nicht auf, man müsse doch lediglich den Onlinehandel regulieren und etwa per Digitalsteuer beschneiden, damit der stationäre Handel wieder floriert und infolgedessen die Innenstädte in alter Schönheit erstrahlen. Ebenso unsinnig ist die Idee, den Status quo mit viel Staatsgeld zu zementieren und den stationären, rein analogen Handel zu subventionieren. Corona hat unmissverständlich klargemacht: Ohne digitalen Auftritt funktioniert heute bis auf wenige Ausnahmen kein Einzelhandel. Mit Maske einzukaufen macht einfach keinen Spaß.

So verleiht ausgerechnet die Pandemie dem Handel den überfälligen Digitalisierungsschub. Doch leider kommt der zu spät. Die Zahl der Geschäfte wird sich wohl verringern und damit das Gesicht der Innenstädte verändern. Das muss aber nicht bedeuten, dass die Zentren veröden und nur noch Tristesse herrscht. Wenn die Innenstadtakteure, die Verwaltung, das Marketing, die Wirtschaftsförderung, die Immobilieneigentümer und die vielen anderen ihren Job gut machen, entsteht was Besseres als der x-te Klamottenladen oder Ein-Euro-Shop. Es wäre verfrüht, den Glauben an Schumpeter und die schöpferische Kraft der Zerstörung zu verlieren. Städte haben sich immer gewandelt, krampfhaft am Alten festzuhalten erscheint da zwecklos. Klüger wäre es, die Transformation kreativ zu gestalten. Weg von zu viel Handel und Kommerz. Beides hat die City in der Vergangenheit zu stark geprägt. Die immer gleichen Ketten machten die Städte austauschbar und manche Fußgängerzone selbst für Großstadtmenschen zur No-go-Area. Jetzt ist die Zeit für Neues und hoffentlich Spannenderes.

© SZ vom 12.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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