Kommentar:Raus aus der Falle

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Klimaschutz wird, Stand heute, nur möglich sein, wenn der Staat seine koordinierende Hand einsetzt. Er kann mit Geboten, mit Verboten oder mit Anreizen arbeiten. Aber Hauptsache, der Staat tut es, die Bürger allein werden die Umwelt nicht retten.

Von Detlef Esslinger

Die Grünen waren in diesem Wahlkampf nicht so bescheuert, einen Veggie Day zu fordern. Auch haben sie auf ihrem Kleinen Parteitag am Sonntag keinen Spritpreis von fünf Mark pro Liter beschlossen, und der Grund war bestimmt nicht, dass ja niemand mehr in Mark rechnet; im Unterschied zu 1998, als sie diese Forderung noch für eine brauchbare Idee hielten.

In diesem Wahlkampf machen es die Grünen wie die anderen Parteien auch. Sie vermeiden es, konkrete Zumutungen zu formulieren. Nie im Leben käme jemand in der Union auf den Gedanken, zum Beispiel in der Rentenpolitik die Bürger entweder mit höheren Beiträgen, niedrigeren Renten oder längerem Arbeiten herauszufordern. Statt dessen formulieren ihre Profis das so: "Wir setzen eine Rentenkommission ein, die bis Ende 2019 Vorschläge erarbeiten soll."

Mit der Renten- hat die Klimapolitik gemein, dass die einzigen Dinge, an denen kein Mangel besteht, Entscheidungsgrundlagen und Vorschläge sind. Aber bloß nicht die Leute verschrecken; lieber allgemein bleiben oder sogar Hoffnungen schüren. "Wir sorgen dafür, dass es bei Umwelt- und Klimaschutz gerecht zugeht", von dieser Art sind die Sätze der Grünen zu dem Thema nun. Was auch sonst? Kleinstes Wahlkampf-Einmaleins: Besser sich nach dem 24. September unbeliebt machen als davor.

Es ist nicht vermessen zu behaupten, dass der Klimaschutz das Thema für die nächsten Jahre ist - und zumindest in einer Hinsicht viel wichtiger als Rente, als Bildung, als Integration, als Europa: Bei all diesen anderen Themen geht es darum, wie die Menschen ihr Miteinander organisieren. Alle Entscheidungen, die dabei getroffen werden, lassen sich später wieder auf irgendeine Weise revidieren oder korrigieren. Beim Klima hingegen geht es darum, ob es überhaupt noch eine Grundlage für ein Miteinander geben wird. Und für jede Entscheidung, die jetzt keiner wagt, wird es sowohl im Jahr 2045 als auch im Jahr 2145 zu spät sein.

Zumutungen sind dabei unabdingbar - zumindest wenn man nicht den Optimismus hat, eine Kombination aus technischem Fortschritt und Zeitgeist werde die Dinge schon richten. Tatsächlich handeln Menschen doch eher nach der Devise von Oscar Wilde: "Ich kann allem widerstehen, bloß einer Versuchung nicht." Sie greifen zum praktischen Coffee-to-go, sie kaufen alle zwei Jahre ein neues Smartphone, und die Insolvenz von Air Berlin ist für sie allenfalls unter dem Gesichtspunkt interessant, ob dann die Lufthansa auf der Strecke München - Zürich ein Monopol haben und die Preise anheben wird. Den Gedanken, was für ein Frevel es eigentlich ist, die 300 Kilometer zu fliegen, strapazieren sie lieber nicht.

Man kann derlei auch kaum jemandem vorwerfen. Kybernetiker und Ökonomen kennen das Phänomen der Rationalitätenfalle. Es erklärt, warum Menschen so handeln, wie sie handeln - selbst diejenigen, denen klar ist, dass die Produktion der drei Milliarden Coffee-to-go-Becher, die die Deutschen jährlich verbrauchen, eine Emission von 83 000 Tonnen Kohlendioxid bedeutet. Die Rationalitätenfalle besteht in folgendem: Indem der Kaffeetrinker zum Einwegbecher greift, werden ihm die dabei empfundenen Annehmlichkeiten zu hundert Prozent zuteil. Griffe er hingegen zum Mehrwegbecher, leistete er zwar einen Beitrag zum Klimaschutz, der allerdings bliebe im Milliardstel-Bereich. Also: Her mit dem Coffee-to-go. Oder mit dem Flug nach Zürich.

Die Bürger allein werden die Umwelt nicht retten. Auf den Staat kommt es an

Mag ja sein, dass in 15 oder 20 Jahren der Zeitgeist nur noch klimabewusstes Handeln toleriert; so wie der Zeitgeist inzwischen endlich jede Form von Sexualität akzeptiert, die er bis vor wenigen Jahren als unanständig denunziert hat. Aber auf so etwas warten oder sich gar verlassen? Klimaschutz wird, Stand September 2017, nur möglich sein, indem der Staat seine koordinierende Hand einsetzt. Er kann dazu mit Geboten, mit Verboten oder mit Anreizen arbeiten. Aber Hauptsache, der Staat tut es; denn allein er ist in der Lage, zügig einen Weg aus der Rationalitätenfalle zu weisen.

Glaube niemand, dass es dabei auf eine Weise zugehen wird, die jeder als "gerecht" empfindet. Viele werden sich bevormundet fühlen und als einen Anschlag auf das empfinden, was sie als ihre persönliche Freiheit ansehen. Absolut verständlich. Wer eine bessere Idee hat, als den Staat Zumutungen ausarbeiten zu lassen, ist damit herzlich willkommen.

© SZ vom 19.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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