Kommentar:Ran an die Bildungsoffensive

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(Foto: Bernd Schifferdecker)

Die Bundesagentur für Arbeit liefert einen Rekord nach dem anderen. Noch. Wenn das so bleiben soll, muss sie mehr für Langzeitarbeitlose tun und in junge Generationen investieren. Das Geld wäre gut angelegt.

Von Thomas Öchsner

Die Bundesagentur für Arbeit ist Deutschlands Behörde für Rekorde. Weder Terroranschläge oder Flutkatastrophen, noch kränkelnde Schwellenländer oder besorgniserregend niedrige Zinsen können die Nürnberger Monatsbilanzen trüben. Der deutsche Arbeitsmarkt scheint ein immerwährender Hort der Stabilität zu sein mit Arbeitslosenzahlen, die so niedrig sind wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Die schönen Bilanzen täuschen allerdings über schwerwiegende Probleme hinweg. Wäre die Bundesagentur eine Aktiengesellschaft an der Börse, müssten Anleger jetzt Anteile verkaufen.

Derzeit profitiert der Arbeitsmarkt von zwei Sondereffekten: Die niedrigen Sprit- und Ölpreise heizen den Konsum an, die Binnennachfrage steigt. Zugleich haben die Flüchtlinge indirekt ein kleines Konjunktur-Feuer entfacht, weil mehr Lehrer, Verwaltungskräfte, Wachdienste oder Wohnungen gebraucht werden. Die gute Konjunktur bringt jedoch kaum Langzeitarbeitslose in Arbeit. Und sie ändert nichts daran, dass sich für gering qualifizierte Arbeitskräfte die Chancen verschlechtern.

Die Wirtschaft wandelt sich gerade durch die Digitalisierung rasant. Dass alles schneller und einfacher geht, mehr Roboter in Fabrikhallen stehen, sich Arbeitsplätze verändern und zum Beispiel eine Zahnarzthelferin künftig Implantate mit dem 3-D-Drucker herstellen kann, muss nicht heißen, dass Millionen Jobs wegfallen. In Zukunft werden aber noch stärker als bisher gut ausgebildete Menschen gefragt sein, während die Stellen für Handlangerdienste schwinden. Da junge Flüchtlinge häufig noch nicht gut genug qualifiziert sind und sie möglichst schnell Geld verdienen wollen, könnte es deshalb einen neuen Konkurrenzkampf um Helferjobs geben.

Sonderprogramme für Langzeitarbeitslose helfen nur wenig aus der Misere

Dahinter verbergen sich jedoch viel tiefer liegende Versäumnisse der deutschen Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik. Was sich einst Bund und Länder vor fast acht Jahren auf ihrem Bildungsgipfel vorgenommen haben, ist zum Großteil immer noch nicht umgesetzt. Nach wie vor haben 1,4 Millionen im Alter von 20 bis 29 Jahren keine Berufsausbildung abgeschlossen und sind auch nicht dabei, eine solche zu erwerben. Die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss sinkt, ist aber immer noch viel zu hoch. Bei der Weiterbildung gibt es eine Schieflage: Arbeitslose, gering Qualifizierte, Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung und aus Zuwandererfamilien profitieren davon seltener. Oft bleiben sie abgehängt.

Außerdem stecken zu viele Menschen in der Hartz-IV-Falle. Wer einmal ins Hartz-IV-System abgerutscht ist, kommt oft nur schwer heraus. Drei Viertel der knapp zwei Millionen als arbeitslos gemeldeten Hartz-IV-Bezieher sind länger als ein Jahr auf die staatliche Grundsicherung angewiesen. Auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen liegt seit Jahren unverändert hoch bei etwa einer Million. Viele dieser Menschen sind nicht ausreichend qualifiziert, um die Bedürfnisse der Unternehmen zu erfüllen. Sonderprogramme helfen nur wenig aus der Misere. Ihre Namen ändern sich, je nach dem, wer gerade im Bundesarbeitsministerium das Sagen hat - die Erfolge bleiben dürftig.

Die Bundesregierung müsste deshalb nicht nur die unterfinanzierten Jobcenter besser ausstatten, um Dauer-Arbeitslose besser zu fördern. Bund und Länder sollten sich auf eine neue gemeinsame Bildungsoffensive verständigen, um weniger Bildungsverlierer zu produzieren. Wer von der Bundesagentur für Arbeit weiter Rekordzahlen hören will, muss in die Zukunft der jungen Generation investieren. Das Geld wäre gut angelegt.

© SZ vom 02.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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