Kommentar:Politiker, die sich etwas trauen

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Wirtschaftspolitiker bestimmen die Lebensumstände der Bürger. Bei der Abwägung dessen, was man ihnen antut oder nicht, braucht es zumindest ein Quäntchen Mut. Doch das ist aus der Mode gekommen.

Von Marc Beise

Irgendwann in einer guten Heldenerzählung sitzt der Vater beim Sohn und erklärt diesem, dass auch er, der Recke, natürlich Angst habe, wenn es in den Kampf gehe, und dass das gut sei so, denn andernfalls sei ein Krieger nicht mutig, sondern nur leichtsinnig.

Wirtschaftspolitiker, zumal in saturierten, friedlichen Gesellschaften, müssen nicht wirklich mutig sein. Für sie geht es nicht um Leben und Tod, auch nicht für ihre Schützlinge. Die Folgen ihrer Politik bestimmen selten die bare Existenz von Menschen, allerdings sehr wohl deren Lebensumstände, ihr wirtschaftliches und finanzielles Auskommen. Weshalb denn doch auch zu dieser Art Politik wenigstens ein Quäntchen Mut gehört bei der Abwägung dessen, was man den Mitbürgern antut oder vorenthält. Leider ist selbst diese Art Mut, sozusagen "Mut light", neuerdings schwer aus der Mode gekommen.

Das war einmal anders. Im neuen Jahr 2018 jähren sich für die Deutschen zwei Weichenstellungen, die an den Kern dessen gehen, wie Wirtschaft funktioniert, ans Geld. Vor 70 Jahren, 1948, hat der spätere Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard zusammen mit den Siegermächten USA und Großbritannien das kriegszerstörte und besetzte Westdeutschland mit einer Währungsreform überrascht. 40 Mark "Kopfbetrag" auf die Hand für jeden Deutschen, 6,50 DM pro 100 Reichsmark Bankguthaben.

Was heute als Erfolgsgeschichte gefeiert wird, weil es über Nacht die Läden füllte, später die Wirtschaft insgesamt ankurbelte und das neue deutsche Wirtschaftswunder mitinitiierte, war zunächst ein Ritt auf der Rasierklinge. Millionen Deutsche verloren einen Großteil ihres Vermögens, Besitzer von Sachvermögen waren stark begünstigt, und der Ausgang des Ganzen war ungewiss.

Es braucht Mut in diesen Zeiten, in denen sich wirtschaftlich so viele Gewissheiten auflösen

Vor 20 Jahren, 1998, fiel der Startschuss für den Euro. Lange vorbereitet, war das Wagnis dennoch noch größer. Würde eine gemeinsame Währung, die das gegenseitige Auf- und Abwerten unmöglich macht, für sehr unterschiedliche Volkswirtschaften funktionieren? Würden die Deutschen, die zur D-Mark ein fast religiöses Vertrauen hatten, die neue Währung akzeptieren? Gegen vielen Rat und wohl auch gegen die Mehrheitsmeinung im Land zog Bundeskanzler Helmut Kohl sein Projekt aus tiefer, politisch-historisch begründeter Motivation durch. Heute muss man wohl sagen, dass das ein Fehler war. Gut gemeint, aber schlecht gemacht (was übrigens nicht heißen darf, dass der Euro wieder aufgelöst werden sollte, das wäre ein noch viel größerer Fehler).

Und dann noch die Reform des Sozialsystems und Arbeitsmarktes der "Agenda 2010" des Kanzlers Gerhard Schröder im Jahr 2003, mit der die wirtschaftliche Negativspirale im Land gebrochen werden sollte (und gebrochen wurde). Schröder ahnte, was ihm blühen könnte, und es kam auch so: Er verlor Kanzlerschaft und Partei. Erhard, Kohl, Schröder: mutige Wirtschaftspolitiker. Und heute?

Angela Merkel - bewegt sich in der Wirtschaftspolitik erst dann, wenn es ohne Gefahr für sie ist. Horst Seehofer - taktiert und laviert, das Ohr immer nah am Volk. Martin Schulz - verrät seit Monaten unablässig seine Überzeugungen, ein Getriebener. Das sind ausgerechnet die Spitzen jener Parteien, die nach dem Stand der Dinge das Schicksal des Landes für vier Jahre bestimmen werden. Drei Politiker, die nicht Vorbild sind, wenn es um mutiges Handeln geht. Dabei braucht es doch Mut in diesen Zeiten, in denen sich auch wirtschaftlich so viele Gewissheiten auflösen, in denen Weichen gestellt werden müssen.

Also suchen wir auf den Wirtschaftsseiten dieser Ausgabe andere Menschen, die Mut machen. Die uns begleiten und voranbringen. Die Vorbild sind.

© SZ vom 02.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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