Kommentar:Ohne Regeln geht es nicht

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Digitale Marktplätze können allen helfen: Händler verkaufen mehr Waren, Kunden zahlen weniger. Aber die Plattform­betreiber werden ihrer Verantwortung nicht immer gerecht - die Politik ist gefragt.

Von Hans von der Hagen

Wenn Unternehmen sich neue Welten erträumen, ist meist von der Plattformökonomie die Rede. So sperrig der Begriff daherkommt, gemeint ist damit etwas, das jeder kennt: Marktplätze. Der Unterschied zu den herkömmlichen Marktplätzen ist lediglich, dass die Plattformen nur virtuell vorhanden sind und nichts weniger versprechen als die ganze Welt auf jedem Rechner.

Noch mehr als eine Angebotszusage ist eine solche Plattform ein Freiheitsversprechen - darum sind diese Marktplätze für die Betreiber so ungeheuer attraktiv: Diejenigen, denen es gelingt, Marktplätze zu etablieren, schaffen sich eine Welt, in der vieles nach den eigenen Vorstellungen laufen kann. Mit ihnen kann der Traum von einer Ökonomie nach Gusto wahr werden. Das ist für die Plattformbetreiber höchst angenehm. Und so vergessen sie allzu gern, dass sie Verantwortung tragen. Deutlich machen das die Fälle der Händler, deren Amazon-Konten gehackt wurden. Sie gerieten in Not, fühlten sich von der Plattform im Stich gelassen. Leider wird es den Anbietern der Marktplätze leicht gemacht, die Verantwortung zu vergessen, weil sie für das, was auf den Plattformen geschieht, nur selten zur Verantwortung gezogen werden. Genauer: Sie können kaum zur Verantwortung gezogen werden, weil der Gesetzgeber nicht weiß, wie er mit den Plattformen umgehen soll. Und das ist ein Unding.

Die digitalen Märkte bergen herausragende Chancen für alle Beteiligten, beweisen Namen, die damit groß geworden sind: Facebook, Uber, Airbnb, Tinder und natürlich Amazon. Gerade Amazon ist ein herausragendes Beispiel, weil das Unternehmen als Buchladen startete und erst dann zum Marktplatz für kleinere Firmen wurde. Viele fragten einst überrascht, warum um Himmels Willen sich Amazon denn selbst die Konkurrenz ins Haus holen würde, die auf den eigenen Seiten das Gleiche verkaufen würde wie Amazon selbst. Drohte da nicht die Kannibalisierung? Die Antwort liefert Zahlen, die so eindrücklich sind, dass man sie mal nennen darf: Lag der Anteil der Warenverkäufe Dritter vor rund 20 Jahren noch bei drei Prozent, waren es 2018 knapp 60 Prozent. Markplatzgeschäfte mögen also noch so kleinteilig erscheinen - sie sind eine Goldgrube. Im Idealfall profitieren alle drei Seiten: die Kunden, die Händler, die Plattformen. Diese Marktplätze sind freilich auch deswegen eine Goldgrube, weil die Betreiber sich in geringerem Ausmaß mit Problemen anderer Unternehmen herumschlagen müssen: Es ist leichter, Provisionen zu kassieren als Gehälter zu zahlen. Wie etwa bei Uber: Die Fahrer sind nicht angestellt, sondern nur Marktplatzteilnehmer.

Das ist eine Kategorie, mit der der Gesetzgeber wenig anzufangen weiß. Wer immer also auf diesen Marktplätzen tätig ist, wird sich nicht allzu oft auf den Schutz des Gesetzes berufen können. Was bleibt, wäre das Wohlwollen des Marktplatzbetreibers. Da Wohlwollen aber teuer ist, wird es auf Plattformen immer dann ungemütlich, wenn etwas schiefläuft. Betroffene werden lediglich von einer Hilfeseite zur nächsten geschickt, oder man lenkt sie kurzerhand auf andere Plattformen wie die Selbsthilfe-Foren. Die großen Unternehmen wissen: Das Hangeln von Seite zu Seite, von Plattform zu Plattform ist so anstrengend, dass die meisten ermattet aufgeben. Das ist weniger zynisch als klares wirtschaftliches Kalkül. Man schaut einfach, wie lange man damit durchkommt, ohne dass die Dinge außer Kontrolle geraten. Gefährlich wird es aus Sicht der Unternehmen, wenn sich zu viele Nutzer beschweren und der Gesetzgeber doch mal auf die Idee kommen sollte, ein paar Regeln zu setzen. Damit das nicht passiert, versuchen Firmen wie Amazon, Ebay oder Uber alle Probleme möglichst unsichtbar zu halten. Oder sie zumindest zu Einzelfällen zu degradieren. Und sie sind damit erstaunlich erfolgreich: Wenn Schwierigkeiten auftreten, glauben viele Kunden, dass sie die Einzigen sind, denen so etwas passiert. Vielleicht gerade darum sind so viele bereit, still in Kauf zu nehmen, dass manches schiefläuft. In der ewigen Abwägung zwischen Aufwand und Ertrag schreiben viele verlorenes Geld kurzerhand als Lehrgeld ab.

Jene aber, deren Existenz von den Plattformen abhängt, weil sie dort Waren oder Dienstleistungen verkaufen, können die Dinge nicht auf sich beruhen lassen. Da ihre Zahl rasant zunehmen wird, ist es Zeit, dass der Gesetzgeber ein Verständnis dafür entwickelt, was auf diesen Plattformen passiert. Seine Aufgabe ist es, das Treiben auf den Märkten so zu lenken, dass sie einerseits funktionieren - und andererseits nicht nur das Wohlwollen der Betreiber zählt.

© SZ vom 26.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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