Kommentar:Nicht handlungsfähig

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Allein der Blick auf den Aktienkurs von RWE ist furchterregend: Man fühlt sich an Pleiteunternehmen erinnert. Doch die Führung verbreitet Ratlosigkeit.

Von Karl-Heinz Büschemann

Allein der Blick auf den Aktienkurs ist furchterregend. Der Börsenwert des Energieversorgers RWE verfällt so rasant, dass man sich an ein Pleiteunternehmen erinnert fühlt. Binnen fünf Jahren ist der Aktienkurs des Ruhrkonzerns um etwa 70 Prozent gefallen, und obwohl Vorstandschef Peter Terium Anfang vergangener Woche einen Konzernumbau verkündete, ging der Abstieg noch einmal um rund 20 Prozent weiter. Offenbar haben die Aktionäre kein Vertrauen mehr in Terium, der seit drei Jahren den Vorstand führt. Eine der Säulen der deutschen Stromversorgung ist bedrohlich ins Wanken geraten.

Auch andere Energieunternehmen stecken in der Krise. Dazu hat zum Teil die übereilte Energiewende der Bundesregierung beigetragen, die ohne Rücksicht auf die Stromkonzerne und ihre Investitionen aus der Atomenergie ausstieg. Aber RWE geht es besonders schlecht, weil der Konzern ein selbstgemachtes Problem hat. Der Konzern erzeugt noch immer 75 Prozent seines Stroms aus fossilen Energieträgern wie Braun- und Steinkohle sowie aus Gas. Das liegt aber nicht an der sprunghaften Energiepolitik, sondern ist der Fehler eines Managements, das jahrzehntelang die Anforderungen des heraufziehenden Klimawandels ignorierte und das Umsteuern auf nachhaltige Energieerzeugung vernachlässigte.

Der Konzern muss aufpassen, dass er nicht untergeht - wie so viele Traditionsfirmen

Jetzt steht die Energiebranche vor einem grundlegenden Umbruch wie einst die Fotoindustrie, die Unterhaltungselektronik oder die Büromaschinen. Die meisten Firmen dieser Traditionsbranchen sind untergegangen, weil sie den Übergang in die digitale Technologie verschliefen. Diese Gefahr besteht auch bei RWE.

Die Manager haben übersehen, dass die Größe des Konzerns, die früher eine Stärke war, zur Schwäche geworden ist. Die Stromversorgung läuft zunehmend dezentral und digital. Strom wird schon heute auf vielen Dächern und von zahllosen Windmühlen erzeugt. Sie sind mit Computern vernetzt, die den Strom verteilen und die Rechnungen stellen. Da bleibt wenig Raum für die Dickschiffe aus der alten Stromwelt. RWE ist das Geschäftsmodell weggebrochen. Ein neues hat das Unternehmen bisher nicht gefunden.

Deswegen reicht es nicht, dass Konzernchef Terium vor anderthalb Wochen einen Konzernumbau ankündigte. Es reicht nicht, Hierarchieebenen zu entfernen, die Zahl der Gremien zu verringern und noch mehr Arbeitsplätze zu streichen. Das sind klassische Ansätze, um Kosten zu verringern. Doch damit lassen sich keine neuen Geschäft erschließen.

Aber der Konzern ist kaum handlungsfähig und noch immer ein stark politisches Unternehmen. Er ist im Ruhrgebiet verwurzelt und mit der Kohleregion verbunden, und er ist zu einem Viertel im Besitz von kommunalen Stromversorgern. Einige Städte des Ruhrgebietes haben bei RWE so starken Einfluss, dass Entscheidungen mehr aus politischen Gründen denn aus strategischer Weitsicht fallen.

Im Aufsichtsrat haben Gewerkschafter, Ruhrbürgermeister und ehemalige Landräte eine Mehrheit, deren Management-Kompetenz kaum durch einen ebenfalls vertretenen früheren österreichischen Bundeskanzler verstärkt wird. Im RWE-Aufsichtsrat sitzt mit Daimler-Chef Dieter Zetsche nur ein aktiver Dax-Vorstand. Diese Besetzung macht die Änderung einer Konzernstrategie schwierig.

Deshalb ist es gut, wenn jetzt darüber diskutiert wird, wer vom nächsten Jahr an den RWE-Aufsichtsrat führen soll. Kandidat ist Werner Brandt. Der ist kein klassischer Energiemann. Er war lange Vorstandsmitglied beim Software-Konzern SAP und kann einen neuen Blick in die Essener Führung bringen. Am besten wäre es, wenn die Bürgermeister und Kommunalvertreter im Kontrollgremium begriffen, dass es bei RWE um mehr geht als um Pfründe für Stadtkassen, sondern um die Zukunft von 60 000 Beschäftigten und ihre Stühle räumten.

Die schmerzhafte Quittung, die Konzernchef Terium jüngst von der Börse für seinen Konzernumbau bekam, sollte bei den Verantwortlichen aber auch ein Anlass sein, über die Konzernführung nachzudenken. Peter Terium ist ein wackerer Mann und ein erfahrener Kostenmanager. Aber das ist mehr das Problem als die Lösung. Der gelernte Wirtschaftsprüfer verbreitet eher Ratlosigkeit, als dass er seine Leute mit Ideen anfeuern könnte. RWE braucht einen Chef, der nicht in der Energiebranche groß geworden ist, der nicht großtechnisch denkt, der die digitale Vernetzung der Welt versteht und der weiß, wie das Internet alle Branchen verändert und wie schnell das geht. Die Digitalisierung muss deshalb Chefsache sein. Doch von dieser Einsicht ist das Unternehmen offenbar noch meilenweit entfernt.

© SZ vom 20.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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