Kommentar:Neustart in Nürnberg

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Der Machtkampf um Valerie Holsboer wirft einen Schatten auf die Bundesagentur für Arbeit. Wer Mitarbeiter persönlich anfährt, hat in der Berufswelt von 2019 nichts verloren. Die Wirtschaft hat zu viel Einfluss auf die Jobbehörde.

Von Alexander Hagelüken

Was für ein Drama. Nach Valerie Holsboer, der ersten Frau im Vorstand von Deutschlands oberster Jobbehörde, muss nun ihr Widersacher gehen: Der Wirtschaftsfunktionär Peter Clever vom Arbeitgeberverband, der sie fragwürdig aus dem Amt drängte. Der erbitterte Machtkampf wirft einen Schatten auf die Bundesagentur für Arbeit (BA), die doch so dringend gebraucht wird: Damit Millionen Menschen möglichst effizient und schnell wieder in einen Job vermittelt werden. Damit sie künftig die Qualifizierung erhalten, die sie für die neue digitale Wirtschaftswelt benötigen. Ohne Zweifel: Die Nürnberger Behörde braucht einen Neustart.

Die Schlammschlacht lässt das Schlimmste befürchten

Die Vorgänge der vergangenen Monate drohen, die Jobbehörde in eine falsche Richtung zu lenken. Das Erste betrifft das Personalmanagement in der Agentur selbst. Mit Valerie Holsboer, die vorher einen Gastronomieverband führte, wurde 2017 jemand von außen in die Spitze der Agentur geholt. Noch dazu eine junge Frau. Das setzte durchaus das Zeichen, der Riesenladen wolle sich für neue Impulse öffnen. Eine Behörde, gerade eine mit 100 000 Mitarbeitern, neigt zum Eingefahrenen: So haben wir das schon immer gemacht, warum sollten wir das jetzt anders machen? Solchen als Tugend missverstandenen Konventionalismus gibt es auch bei Unternehmen. Bei staatlichen Organisationen, denen der Druck des Marktes fehlt, schleicht er sich besonders leicht ein.

Die Quereinsteigerin Holsboer versuchte also, das Management des Behördenpersonals zu erneuern. Talente zu fördern. Mehr Weiterbildung zu etablieren. Was unabdingbar erscheint in einer Zeit, da die Beratung der arbeitslosen Kunden als zentral erkannt wird - und sich noch dazu die Technologie vom Papier zum Digitalen wandelt. Wie gut Holsboer ihre Impulse setzte, darüber gehen die Meinungen intern auseinander; es lässt sich vor allem schwer beurteilen, weil die Wirtschaftsvertreter sie so schnell schassten.

Entscheidend ist jetzt, dass die Bundesagentur diese Impulse mit der Nachfolge im Vorstand aufnimmt, statt sie abzuwürgen. Die Schlammschlacht gegen die Quereinsteigerin lässt das Schlimmste befürchten. Hoffnung könnte einem aber geben, dass es der Agentur schon einmal gelang, sich neu zu erfinden. Der Anstoß dazu kam nach dem Skandal um gefälschte Erfolgsbilanzen Anfang der Nullerjahre zwar von der Politik. Doch es war der BA-Vorstand unter dem langjährigen Chef Frank-Jürgen Weise, der die Modernisierung umsetzte. Die bessere Vermittlung von Arbeitslosen ist einer der Gründe für den deutschen Arbeitsmarktboom. Inzwischen sind manche, aber noch zu wenige Jobagenturen sogar schon so weit, dass sie etwa eigene Vermittlerteams für alleinerziehende Arbeitslose bilden - die nicht nur eine Stelle brauchen, sondern auch passende Betreuung für ihre Kinder.

Choleriker haben in der Arbeitswelt nichts verloren

Neben den Impulsen fürs Personalmanagement bleibt aus dem Fall Holsboer noch etwas Zweites hängen: Die Umgangsformen. Der Wirtschaftsvertreter Clever, als Verwaltungsrat in einer Machtposition, soll neben der Managerin reihenweise Mitarbeiter persönlich angefahren haben. Wenn in der Jobbehörde tatsächlich so viele vor dem Mann zitterten, wie Insider behaupten, wäre das erschütternd. Ein solcher beruflicher Umgang war schon im vorigen Jahrhundert falsch, doch Chefs kamen damit leider oft durch. Im Jahr 2019 haben Choleriker in der Arbeitswelt nichts mehr verloren. Noch dazu in einer Behörde, deren Mitarbeiter feinfühlig auftreten sollten, damit sie Langzeitarbeitslose mit geringem Selbstwert nicht entmutigen - sondern ermutigen.

Die Vorgänge zeigen, dass die Wirtschaftsvertreter in der Bundesagentur zu frei schalten konnten. Dass sie auch Detlef Scheele, den Vorstandschef der Behörde, ins Visier genommen haben sollen, wirkt deplatziert. Klar mag es zwischen Arbeitgeberverbänden und einem Ex-Politiker, der für die SPD in Hamburg als Sozialminister amtierte, ideologische Unterschiede geben. Aber Scheele geriert sich an der Spitze gerade nicht als SPD-Parteigänger. Auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse kritisiert er Pläne mancher Sozialdemokraten, sehr lange Arbeitslosengeld zu zahlen oder jedwede Sanktion für Hartz-IV-Empfänger abzuschaffen.

Als Nachfolger des Wirtschaftsfunktionärs Clever tritt nun Steffen Kampeter an, Geschäftsführer der Arbeitgeberverbände. Das ist ein Signal, dass die Wirtschaft ihre Herausforderung begriffen hat. Es ist auch ihre letzte Bewährungschance. Agieren die Arbeitgeber künftig nicht dramatisch konstruktiver, sollte die Bundesregierung ihren Einfluss auf die Jobbehörde beenden.

© SZ vom 18.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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