Kommentar:Merz hat die richtige Idee

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Der Kandidat für den CDU-Vorsitz findet, dass die Bürger mehr Aktien zur Altersvorsorge kaufen sollten. Der Vorschlag ist gut, aber Merz denkt das Thema nicht zu Ende. Vielen Menschen hierzulande fehlt schlicht das Geld für solche Investitionen.

Von Alexander Hagelüken

Friedrich Merz will steuerlich fördern, dass die Deutschen mehr Aktien kaufen. Weil Merz marktliberal ist und von den Kandidaten für den CDU-Vorsitz bei Weitem der reichste, erntet sein Vorschlag Hohn. Motto: Millionär Merz mag Aktien, na klar! Es lohnt sich trotzdem, über seine Idee nachzudenken. Denn wenn die Masse der Deutschen ihr Geld anders anlegen würde, profitierte sie endlich mehr vom Wirtschaftsboom und wäre im Alter besser abgesichert. Damit diese Strategie wirklich gelingt, bedarf es allerdings zusätzlich politischer Korrekturen, die Merz verschweigt. Der CDU-Mann hat die richtige Idee, aber er denkt sie nicht zu Ende.

Erst mal ein Blick aufs Gesamtbild: Die finanzielle Situation der Bundesbürger ist erstaunlich dürftig, wie die Europäische Zentralbank herausfand. Trotz Jahren des Aufschwungs besitzt der mittlere Haushalt nur 60 000 Euro - halb so viel wie die Bewohner anderer Euro-Staaten, die uns um unseren Aufschwung beneiden. Nach anderen Studien haben die Deutschen sogar noch weniger. Wie kann das sein?

Mit Aktien würden die Bürger an den hohen Gewinnen der Unternehmen beteiligt

Eine Spur führt zum Anlageverhalten. Italienern und Spaniern gehört doppelt so häufig ein Haus wie Deutschen. Franzosen oder Niederländer kaufen weit häufiger Aktien. Die Deutschen dagegen halten traditionell an vermeintlich sicheren Banksparprodukten oder Lebensversicherungen fest. Dieser Unterschied hat mehrere Ursachen. Die deutsche Politik ist Banken und Versicherern besonders gerne zu Willen, statt Aktien- und Immobilienbesitz zu fördern. Auch haben die Bundesbürger nach zwei bitteren Währungsreformen 1923 und 1948 besondere Angst vor Verlusten. All das führt zu einer Geldanlage, die das Vermögen der Normalverdiener dezimiert.

Denn Aktien und Immobilien werfen deutlich mehr ab als die Lieblingsprodukte der Bundesbürger. Der Bonner Ökonom Moritz Schularick zeigt genauso wie seine US-Kollegen Rajnish Mehra und Edward Prescott, dass Aktien und Immobilien über mehr als 100 Jahre konstant ein Mehrfaches einbrachten - aber gar nicht viel unsicherer waren. Ja, Aktienkurse fallen zuweilen heftig, so wie jetzt, da der Deutsche Aktienindex auf Jahresbasis im Minus steht. Aber solche Schwankungen gleichen sich über längere Zeit meist aus.

Deutsche Normalverdiener zogen aus den Währungsreformen die falschen Schlüsse. 1948 wurden Geldersparnisse entwertet, nicht Sachvermögen wie Immobilien oder Maschinen. Gutverdiener wissen das. Sie legen viel häufiger in Aktien und Immobilien an - und siehe da: Sie sind mindestens so vermögend wie die Gutverdiener anderer Euro-Staaten.

Natürlich lässt sich die Ungleichheit in Deutschland nur zum kleineren Teil mit der Geldanlage erklären. Dass Arm und Reich stärker auseinanderklaffen, resultiert vor allem aus lächerlichen oder nichtexistenten Kapital-, Erbschaft- und Vermögensteuern, stagnierenden Löhnen, Tarifflucht und dem Abbau des Sozialstaats.

Die Anlagemisere schadet den Normalverdienern trotzdem. Die Politik würde ihnen also einen Gefallen tun, lockte sie sie durch finanzielle Anreize weg von ihren Lieblingsprodukten, an denen nur Banken und Versicherer verdienen. Mit Aktien würden die Bürger an den hohen Gewinnen der Firmen beteiligt, die der Boom erzeugt. Auch im Alter hätte die Masse mehr als heute, da ihre Vorsorge-Euros bei Lebensversicherern und Banken versickern. Jedem Zweiten nahe des Ruhestands werden im Alter 700 Euro zu seinem gewohnten Lebensstandard fehlen, woran Riester-Verträge bisher kaum etwas ändern.

Damit die Masse der Deutschen wirklich zu mehr Vermögen kommt, braucht es aber Veränderungen, über die Friedrich Merz nicht redet. Sein Vorstoß erscheint reichlich unkonkret. Schwerer wiegt jedoch etwas anderes: Vielen Bürgern fehlt schlicht Geld, um nennenswert Aktien oder gar Immobilien zu kaufen.

Um das zu ändern, müsste die Politik Normalverdiener von Steuern entlasten und Geringverdiener von Sozialabgaben. Sie müsste Tarifverträge allgemeingültig erklären, um Niedriglöhne einzudämmen. Und sie müsste nach Schwedens Vorbild staatliche Fonds auflegen, damit Bürger nicht ständig in Details der Aktienanlage eintauchen müssen.

Mit anderen Worten: Die Politik müsste auch neoliberale Positionen korrigieren, für die der Politiker Merz selbst steht. Von ihm ist ein wirkungsvoller Gesamtplan daher eher nicht zu erwarten. Andere aus Union und SPD sollten in die Lücke springen und Merz' Idee komplettieren, damit die Deutschen endlich zu Vermögen kommen.

© SZ vom 04.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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