Kommentar:Merck vs. Tesla

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Wir sollten uns vom Geplärre der Internetkonzerne nicht kirre machen lassen. Denn Familien­unternehmen weisen Verläss­lichkeit, Konstanz und Konti­nuität vor.

Von Ulrich Schäfer

Als im Jahr 1668 Friedrich Jakob Merck die Erlaubnis erhielt, in Darmstadt eine Apotheke zu eröffnen, war Kalifornien ein unbedeutender Landstrich. Als damals die Geschichte des ältesten Pharmaunternehmens der Welt begann, gab es im Silicon Valley noch keine spanischen Siedler, geschweige denn irgendwelche Unternehmen. Erst mehr als hundert Jahre nach der Gründung von Merck erreichte der Entdecker Gaspar de Portolà 1769 als Erster auf dem Landweg die Bucht von San Francisco.

Und heute? Starren alle wie gebannt auf diese Gegend, auf die Heimat von Unternehmen wie Apple, Facebook, Google, Tesla oder Uber - und nicht nach Darmstadt. Die Internetkonzerne aus Kalifornien scheinen das Maß aller Dinge zu sein, sie definieren, so der weitverbreitete Eindruck, wie wir leben und arbeiten werden; sie prägen die Werte unserer Wirtschaft. Aber stimmt das wirklich? Ist also der deutsche Ansatz, für den auch ein Unternehmen wie Merck steht, mit einer gewachsenen Tradition, mit Werten, die sich über Jahrhunderte entwickelt haben, tatsächlich antiquiert? Es trifft sich ganz gut, dass pünktlich zur Feier des 350. Geburtstags von Merck, zu der am Mittwoch auch Kanzlerin Angela Merkel nach Darmstadt kam, mal wieder ein Unternehmen aus dem Silicon Valley in die Schlagzeilen drängte, welches so völlig anders ist: der Autohersteller Tesla mit seinem Chef Elon Musk. Man muss es Musk ja lassen: Er hat früher als andere erkannt, dass E-Autos eine Zukunft haben; und er zieht viel Aufmerksamkeit auf sich, mit seinen Tweets auf Twitter und Auftritten wie am Mittwoch, als er die kritischen Fragen von Analysten als "langweilig" abtat, was die Aktie abstürzen ließ. Aber wird Tesla auf Dauer erfolgreich sein? Wird dieses Unternehmen, das nach 15 Jahren immer noch gewaltige Verluste schreibt, auch in 350 Jahren bestehen?

Tesla geht es um größtmögliche Publicity, Merck dagegen um den größtmöglichen Gewinn. Tesla sucht den schnellen Erfolg (und das ist nicht zuletzt auch medialer Erfolg), Merck dagegen verfolgt wie andere Familienunternehmen das Ziel, auch in der nächsten und übernächsten Generation zu bestehen. Natürlich hinkt solch ein Vergleich immer, und doch zeigt er, wie unterschiedlich die Unternehmenskulturen im Silicon Valley und in Deutschland sind.

Langfristig bestehen Firmen nur, wenn sie Gewinn machen - und nicht mit Bohei Geld verbrennen

Natürlich entwickeln einige der Internetkonzerne wichtige Technologien, die die Wirtschaft verändern, so wie es einst auch dem Amerikaner Henry Ford gelungen ist. In Detroit hat Ford Anfang des 20. Jahrhunderts das Fließband in der Automobilproduktion eingeführt, was später von den deutschen Herstellern perfektioniert wurde. Auch heute ist es entscheidend, dass die etablierten deutschen Unternehmen die neuen Technologien übernehmen, um schneller und effizienter zu werden. Zugleich müssen sie ihre Geschäftsmodelle an die digitale Zeit anpassen; wer hier zu lange zögert, der läuft Gefahr, im Wettbewerb zurückzufallen.

Aber wir sollten uns vom ständigen Geplärre der amerikanischen Digitalunternehmen nicht mehr kirre machen lassen als nötig. Denn auch Deutschland kann mit seinen Familienunternehmen etwas weltweit Einmaliges vorweisen - etwas, was das Silicon Valley niemals haben wird. Diese Unternehmen stehen in der Regel für Konstanz, Verlässlichkeit und Kontinuität, gerade auch den Mitarbeitern gegenüber. Sie sind geprägt durch ein langfristiges Denken, welches über die nächsten Quartalszahlen und das nächste Investorengespräch hinausgeht. In Zeiten permanenter Disruption ist dies ein großer Wert; denn wer die Mitarbeiter beim Wandel mitnehmen will, dem wird dies eher gelingen, wenn er ihnen auch eine langfristige Perspektive bieten kann.

Die Familienunternehmen sind meist in Branchen tätig, die als langweilig gelten. Sie betreiben keine Suchmaschinen, keine sozialen Netzwerke, keine hippen Plattformen, sondern bauen Maschinen, Anlagen, Sensoren oder liefern Teile für Autos, Fabriken und - wie bei Merck - Medikamente. Aber sie verstehen es, Prozesse zu optimieren und Produkte präzise zu fertigen - etwas, was Unternehmen wie Tesla noch lernen müssen. Die Start-up-Mentalität des Silicon Valley hilft, Firmen schnell aufzubauen. Aber langfristig bestehen werden Unternehmen nur, wenn sie Gewinn machen - und nicht bloß mit viel Bohei Geld verbrennen.

© SZ vom 04.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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