Kommentar:Mann ohne Herz

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Der geplante Haushalt von US-Präsident Donald Trump will diejenigen im Lande bedienen, die ihn gewählt haben. Auch das Militär soll mehr Geld bekommen. Doch bei der Sozialversicherung für die Alten will er nicht sparen. Dahinter steckt kühles Kalkül.

Von Claus Hulverscheidt

Paul Ryan, der Sprecher des US-Repräsentantenhauses, hat dieser Tage etwas Ungeheuerliches gesagt. Schon als junger Mann, so erzählte er bei einem Interview auf offener Bühne, habe er "davon geträumt", teure Sozialprogramme wie die staatliche Gesundheitsfürsorge Medicaid radikal zu kürzen und die Steuerzahler so von einem großen Kostenblock zu befreien. Nun, mit dem Wahlsieg Donald Trumps und der Mehrheit der Republikaner in beiden Kongresskammern, sei die einmalige Gelegenheit da, diesen Wunsch Realität werden zu lassen.

Wovon träumen junge Männer? Von einer Karriere als Sportler oder Popstar vielleicht. Von hübschen Mädchen und einem gut bezahlten Job. Aber davon, den kaum vorhandenen Sozialstaat einzureißen und ein Programm zu rasieren, das armen Menschen einen minimalen Krankenversicherungsschutz bietet? Ryan, das zur Erinnerung, ist keine Randfigur, sondern der ranghöchste Vertreter der Republikaner im Kongress. Seine Aussage zeigt, wie weit der Staatsdekonstruktivismus und der radikale Libertarismus innerhalb der Partei gediehen sind.

Paul Ryan will den US-Sozialstaat trimmen - dabei ist der nicht gerade aufgebläht

Das Interessante ist nun, dass sich Ryan bei den laufenden Budgetverhandlungen einer in den Weg stellt, mit dem viele wohl nicht gerechnet hätten: Donald Trump. Der Haushaltsentwurf des Präsidenten sieht eine Steigerung der Wehrausgaben um 54 Milliarden Dollar vor, die an anderen Stellen wieder hereingeholt werden sollen: beim Umweltschutz, im diplomatischen Dienst, bei UN-Programmen, der Kunstförderung und der Entwicklungshilfe. Entscheidender ist in diesem Fall jedoch, wo Trump nicht sparen will: bei Medicare, einem Topf, aus dem Gesundheitsleistungen für Senioren bezahlt werden, bei der Sozialversicherung und - jedenfalls bisher nicht - bei Medicaid.

Auch Trumps Konzept einer Stärkung der militärischen Schlagkraft zulasten ziviler Hilfen lässt sich ein gewisser Zynismus nicht absprechen. Und doch steckt hinter dem Ansatz eine kühle politische Logik, die man dem Präsidenten kaum zugetraut hätte. Nach allen Untersuchungen verdankt er seinen Wahlsieg vor allem der weißen Landbevölkerung - Menschen, die oft Mühe haben, mit ihrer eigenen Hände Arbeit über die Runde zu kommen. Natürlich kann man sie nicht alle über einen Kamm scheren, doch es gibt Gemeinsamkeiten, wie Umfragen und wissenschaftliche Analysen zeigen: Viele dieser Bürger sind für eine Stärkung des Militärs, für weniger Armuts- und Entwicklungshilfe, für die Aufhebung der angeblich kostentreibenden Gesundheitsreform von Ex-Präsident Barack Obama - aber gegen Kürzungen bei Medicare und Arbeitslosenversicherung. Trumps Haushaltsentwurf ist das in Zahlen gegossene Abbild dieser Prioritätensetzung.

Dass ein nicht kleiner Teil der Amerikaner so denkt, ist für Europäer schwer verständlich. Aus Sicht der weißen Mittelschichtler jedoch sind Medicare und Sozialversicherung die einzigen Staatsprogramme, von denen sie profitieren. Von allen anderen Leistungen dagegen sind sie ausgeschlossen: von Wohn- und Essenszuschüssen, von Kita-und Schulgeldhilfen, von Entwicklungshilfe sowieso.

Viele Betroffene haben nach einer Untersuchung von Joan Williams, Professorin an der Universität von Kalifornien, daher das Gefühl, dass sie trotz eigener finanzieller Engpässe dauernd für andere zahlen müssen - für Menschen mit kaum geringeren Einkommen ebenso wie für vermeintlich unnötige Randgruppenprogramme linksliberaler Eliten. Niemand honoriere das, so der Eindruck, während den offiziell 43 Millionen Armen in den USA "Subventionen und Sympathie" zuteil würden. Dass es mit dieser Sympathie in Wahrheit oft nicht weit her ist, wird dabei ebenso ausgeblendet wie die Tatsache, dass die vermeintlich großzügigen Subventionen meist nicht einmal für das tägliche Überleben reichen.

Paul Ryan, dessen Einfluss in Etatfragen kaum geringer ist als der Trumps, wird in den nächsten Wochen hartnäckig dafür kämpfen, nicht nur Schulgeld- und Wohnhilfen weiter zu kürzen, sondern auch das angebliche "Dickicht" bei den wirklich großen Ausgabenposten Medicare und Medicaid zu lichten. Nicht dass es verboten wäre, auch Sozialprogramme auf mehr Effizienz zu trimmen. Ryans Behauptung aber, der "aufgeblähte" US-"Sozialstaat" setze die falschen Anreize, ist angesichts der bitteren Not, in der viele Arme leben, schwer erträglich. Die Zahlung von Sozialhilfe, so hat er schon vor Jahren gesagt, mache Arbeitslosigkeit weniger schmerzhaft und hindere die Betroffenen daran, sich einen Job zu suchen - ja, sie sorge gewissermaßen "für einen vollen Magen, aber eine leere Seele". Woher will ein Mann ohne Herz das wissen.

© SZ vom 22.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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