Kommentar:Macht die Städte wieder lebenswert!

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So kann es nicht weitergehen: Stau und schlechte Luft in Städten, kaum Rechte für Fahrradfahrer. Da helfen auch ein paar gesperrte Straßen nicht, stattdessen müssen Politik und Bürger komplett umdenken.

Von Helmut Martin-Jung

Wollen wir das wirklich? Wollen wir brüllenden Verkehrslärm nahezu rund um die Uhr in den Hauptverkehrsstraßen der Städte, die giftigen Abgase, die Bedrohung für Fußgänger und Radfahrer? Wie es scheint, gibt es eine Mehrheit, die das vielleicht nicht aktiv will, die es aber in Kauf nimmt. Für die Bequemlichkeit, mit dem Auto in der Stadt umherzufahren. Also tut die Regierung, was sie glaubt tun zu müssen. Sie verteidigt das Recht der Autofahrer, mit ihrem Wagen überall hinfahren zu können, notfalls mit Schummel-Dieseln.

Schon jetzt aber ersticken viele Städte nahezu am Verkehr. Die Luft ist verpestet, die Lärmbelastung ebenso gesundheitsgefährdend. Eigentlich müsste klar sein, dass es so nicht weitergehen kann. Eigentlich müsste alles dafür getan werden, das zu ändern. Eigentlich sollte in einer gerecht organisierten Gesellschaft die Freiheit der einen dort enden, wo die der anderen beeinträchtigt ist. Doch die Mehrheit scheint sich dafür entschieden zu haben, dass sich am Status quo nichts Wesentliches ändern soll. Aufgabe der Politik ist es aber nicht, der Bequemlichkeit einer Mehrheit zu dienen, sondern dem Wohl aller.

Ein paar Kilometer Fahrradwege farbig anzumalen, hilft nicht

Es wäre jedoch völlig illusorisch zu erwarten, eine Politik, die im Würgegriff von Deutschlands bedeutendstem Industriezweig steckt, könnte von heute auf morgen all die ziemlich radikalen Maßnahmen ergreifen, die nötig wären, um die Städte wieder zu lebenswerteren Orten zu machen. Das wäre mit einiger Sicherheit schädlich für den Wirtschaftsstandort. Es steht aber auch außer Frage, dass das, was derzeit passiert, einfach zu wenig ist.

Damit sich wirklich etwas bewegt, reicht es eben nicht, ein paar wenige Straßen für bestimmte Dieselautos zu sperren. Das wird kaum etwas bringen, und wer soll das kontrollieren? Es reicht auch nicht, ein paar Kilometer Fahrradwege farbig anzumalen. Sobald es eng wird, hört der Fahrradweg dann einfach auf. Solange die Verkehrsplanung sozusagen vom Auto aus gemacht wird, kann sich nichts entscheidend ändern. Ziel muss es vielmehr sein, so viele Autos wie möglich aus den Städten zu bekommen.

Ganz ohne ein wenig an Bequemlichkeit aufzugeben, wird das nicht gehen. Aber mit einem ausreichend finanzierten und damit attraktiven öffentlichen Nahverkehr, mit den künftigen Möglichkeiten autonomer Fahrzeuge, die bei Bedarf angefordert werden können, ließe sich viel erreichen, ohne zu viel aufzugeben. Genauso wichtig - und zugleich eine große Gesundheitsinitiative - wäre der Ausbau von Radstrecken, auf denen Radfahrer ohne Gefahr für Leib und Leben in und durch die Stadt kommen. All das am besten noch in einem integrierten Konzept zusammengefasst, leicht buch- und nutzbar über Smartphone-Apps - so könnten die Städte Schritt für Schritt dem motorisierten Individualverkehr entkommen.

Etwas Nachdruck wird dazu vonnöten sein. Also etwa, weniger Parkmöglichkeiten anzubieten, Citymaut, weitgehender Vorrang für Radfahrer und Fußgänger. Nur mit Ge- und Verboten alleine aber funktioniert es nicht. Es funktioniert nur, wenn es auch Alternativen gibt, die einen ebenso gut von A nach B bringen. Das ist teuer, keine Frage. Rechnet man es aber gegen zu den versteckten Kosten des Autoverkehrs, sieht die Sache schon wieder ganz anders aus.

Natürlich wird die Autoindustrie bei solchen Vorschlägen aufheulen und mit der Arbeitsplatz-Keule drohen. Doch wenn es ihr ernst ist mit ihrer Zukunft, sollte sie sich von sich aus öffnen für neue Mobilitätskonzepte, die mehr sind als Lippenbekenntnisse und faule Diesel-Kompromisse. Immer mehr Autos, das kann nicht die Lösung sein.

© SZ vom 13.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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