Kommentar:Keine Ausreden mehr

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Seit Juli 2015 ist Bankchef John Cryan im Amt. Bisher war er mit Krisenbewältigung beschäftigt, jetzt muss er zeigen, dass er auch eine Vision hat.

Von Meike Schreiber

John Cryan ist allem Anschein nach frei von Allüren und als Brite geübt darin, auch im Chaos Haltung zu bewahren. Vor allem Letzteres hilft dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, denn wohl selten zuvor war der Chef eines deutschen Großkonzerns bei der Ausübung seines Amtes derartigem Stress ausgesetzt wie Cryan: Erst seit Juli 2015 und damit gerade eineinhalb Jahre führt er das Geldhaus. Doch bereits jetzt tritt er in die dritte Phase seiner Regentschaft ein.

Die erste war davon geprägt, zusammen mit dem Aufsichtsrat den alten, skandalbelasteten Vorstand durch neue Gesichter auszutauschen. Abgeschlossen war der personelle Umbau weitgehend zum Jahreswechsel 2016. Im vergangenen Jahr - Phase zwei - hatte Cryan alle Hände voll zu tun, den Konzern, dem er den größten Stellenabbau seiner Geschichte verordnete, vor dem Untergang zu retten: Zweimal, im Februar sowie im September, sah es so aus, als würden ihm die Dinge entgleiten: Aktien- und Anleihekurse fielen bedrohlich. Im Berliner Finanzministerium wurden Staatshilfe-Szenarien entworfen, in den Frankfurter Doppeltürmen herrschte Panik. Das hing vor allem mit den Rechtsstreitigkeiten zusammen, für deren Begleichung die Bank 5,9 Milliarden Euro zurückgestellt hat.

Der Patient lebt und hat die Intensivstation verlassen. Jetzt geht es um die Vision

Inzwischen ist klar: Der Patient ist weiterhin krank, aber er lebt und hat die Intensivstation verlassen. Die vor dem Ausbruch der Finanzkrise getätigten, windigen Hypothekengeschäfte in den USA kosten den Konzern insgesamt 7,2 Milliarden Dollar. Die Russland-Affäre um zweifelhafte Wertpapiergeschäfte im Umfang von 10 Milliarden Dollar schlägt mit weiteren 630 Millionen Dollar zu Buche. Eine Einigung mit dem US-Justizministerium steht zwar noch aus, aber angesichts der Volumina der Deals liegt die Strafsumme im, nun ja, Peanuts-Bereich. Mit dem vorhandenen Kapital sollten sich die beiden Strafzahlungen bewältigen lassen.

Personell runderneuert, seiner gravierendsten Rechtsfälle entledigt: Nun steuert Cryan in die dritte Phase seiner jungen Amtszeit. Jetzt muss der Vorstandschef zeigen, dass er mehr ist als einer, der gut darin ist, in größter Not die Ruhe und ein Unternehmen vor dem Untergang zu bewahren, dem darüber hinaus aber Führungskraft und Vision fehlen. Und beides braucht es angesichts der noch immer ungeklärten Frage, mit welchem Zuschnitt ihres Geschäftsmodells die Bank wieder so viel Geld verdienen will, dass sie ihre hohen Kosten verdient, und gleichzeitig noch so viel mehr, dass sich die Investoren wieder für ihre Aktie begeistern können und ihr das benötigte Eigenkapital zur Verfügung stellen.

Für Cryan ist das Neuland. Als Finanzchef der UBS dankte er 2011 genau in dem Moment ab, als er die Schweizer Großbank vor dem Zusammenbruch bewahrt hatte. Den anschließenden Höhenflug verfolgte er nur noch von außen. Ob sich dieses Szenario bei der Deutschen Bank wiederholt, ist offen; vermutlich kann die Frage erst in einigen Jahren beantwortet werden, zu sehr hat sich die Zins- und Regulierungslandschaft verändert, als dass schnelle Ergebnisse zu erwarten sind.

Zunächst muss Cryan beweisen, dass er die Deutsche Bank so solide kapitalisieren kann, wie es die Investoren verlangen. Er muss die Abhängigkeit vom riskanten, schwankungsanfälligen Handelsgeschäft verringern, aus dem noch immer mehr als die Hälfte der Konzernerträge stammen. Ungeklärt ist die Zukunft der Postbank, die zwar irgendwie zum Verkauf steht, aber so richtig dann doch nicht, sowie der Vermögensverwaltung, die an die Börse soll, aber nur zu einem kleinen Teil. Zugleich muss er verhindern, dass ihm die besten Leute abhandenkommen, ohne in die Bonus-Exzesse der Vergangenheit zurückzufallen. Das würde nicht nur die Bilanz der Bank nicht aushalten. Es würde den Konzern auch den letzten Rest gesellschaftlicher Akzeptanz kosten.

Bislang hat sich Cryan erfolgreich darum drücken können, einen umfassenden Entwurf vorzulegen, wie die Deutsche Bank in fünf, zehn oder gar 20 Jahren aussehen soll. Mit Recht verwies der Bankchef bislang auf die beiden noch ungeklärten Rechtsrisiken. Außerdem will er noch die Endfassung der neuen Kapitalvorschriften "Basel III" abwarten.

Doch das zieht absehbar nicht mehr: Die größten Rechtsfälle sind abgearbeitet, der Prozess um die neuen Kapitalvorschriften dürfte irgendwann im Frühjahr beendet sein. Spätestens zur Hauptversammlung am 18. Mai wird Cryan liefern müssen. Das Aktionärstreffen drängt sich geradezu auf als Auftakt der dritten Phase seiner bisher eher turbulenten Amtszeit. Andernfalls könnte John Cryan als Unvollendeter in die Geschichte der Deutsche Bank eingehen.

© SZ vom 01.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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