Kommentar:Jetzt gegensteuern

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Die Unterschiede zwischen Gut- und Wenigverdienern nehmen in der Bundesrepublik zu. Und die Mittelschicht schrumpft. Die neue Regierung muss handeln.

Von Alexander Hagelüken

Manch einer mag es kaum glauben, dass Deutschland in immer neuen Studien eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich attestiert wird. Stimmt es etwa nicht, dass so viele Bürger Arbeit haben wie nie? Beneidet uns nicht ganz Europa um unseren Boom? Doch, stimmt alles. Richtig ist aber auch: Die Unterschiede zwischen Gut- und Wenigverdienern nehmen in der Bundesrepublik zu. Und die Mittelschicht schrumpft.

Deutschland geht es gut, aber die Früchte des Wohlstands werden zunehmend ungleich verteilt. Die obersten zehn Prozent haben inzwischen wieder einen so großen Anteil am Gesamteinkommen wie vor 100 Jahren, wie eine Forschergruppe um den Ökonomen Thomas Piketty nun nachweist. Es wird Zeit, dass deutsche Politiker diese Kluft ernst nehmen.

Um gleich einem Missverständnis vorzubeugen: Ungleichheit bedeutet nicht automatisch, dass die Masse darbt. Wenn alle Gehälter anständig steigen, aber die ganz oben besonders stark, nehmen die Unterschiede zu - obwohl ja alle mehr haben. Ungleichheit wäre dann kein großes Problem. Allerdings zeigen die Fakten, dass die Bundesrepublik sehr wohl ein Problem hat: 40 Prozent der Beschäftigten verdienen heute nach Inflation weniger als vor 20 Jahren. Viele Bürger leiden unter steigenden Mieten in Großstädten und können kaum etwas ansparen fürs Alter oder für Krisenfälle wie Scheidung oder Arbeitslosigkeit. Was ist geschehen?

Firmenerben zahlen kaum Steuern, während Straßen bröckeln

Nach dem Zweiten Weltkrieg, in den Zeiten des Wirtschaftswunders, erlebte die Bundesrepublik jahrzehntelang eine Annäherung der Schichten. Eine Entwicklung, die große Zufriedenheit mit der Marktwirtschaft und den etablierten Parteien schuf. Fast jeder glaubte, er könne in die Mittelschicht aufsteigen, mit ausgedehnten Urlaubsreisen und einem Haus im Grünen. Doch seit den 1980er-Jahren nehmen in Deutschland und anderen Industriestaaten die Unterschiede zu.

Moderne Technologien haben Routinejobs verschwinden lassen und machten aus Arbeitnehmern oft mäßig bezahlte Dienstleister, Paketboten etwa oder Telefonisten im Callcenter. Reiche und Unternehmen dagegen können in einer globalisierten Welt überall in der Welt investieren. Und dabei häufig noch ihre Steuerlast drücken - während viele aus der Mittel- und Unterschicht finanziell stagnieren. Kein Wunder, dass ihr Frust wächst und sie für Parolen von Rechtspopulisten wie Donald Trump oder Politikern der AfD empfänglicher werden.

Nun sind weder neue Technologien noch die Globalisierung Teufelszeug. Beide steigern das Wachstum. Unterm Strich kann die Masse profitieren. Die Voraussetzung dafür ist aber, dass die Regierungen die Vorteile des globalen Kapitalismus besser verteilen, als sie das heute tun.

Besonders schief läuft es in den USA. Dort kassiert das oberste Prozent der Bevölkerung inzwischen ein Fünftel des Gesamteinkommens. Dieses eine Prozent bekommt damit deutlich mehr ab als die ärmere Hälfte der Bevölkerung - eine Gruppe, die 50-mal so groß ist. In Europa geht es noch gerechter zu, weil die Regierungen traditionell mehr umverteilen. Aber auch hier spalten sich die Gesellschaften zunehmend: In Deutschland hat sich der Anteil der unteren Hälfte am Gesamteinkommen seit den 1960er-Jahren halbiert.

Die Macht und der Lobby-Einfluss von Reichen und Konzernen könnten bewirken, dass Europa und die Schwellenländer künftig dem fatalen amerikanischen Trend folgen. Bevor es so weit kommt und die Wut der Abgehängten extreme Parteien noch mehr stärkt, sollten die Regierungen entschieden gegensteuern.

Das gilt auch für die nächste Bundesregierung. Die letzte große Koalition führte zwar einen Mindestlohn ein. Mit absurden Geschenken für Firmenerben zementierte sie aber auch die Ungleichheit. In den vergangenen Jahren bekamen etwa 100 Kinder unter 14 Jahren steuerfrei Firmen im Wert von 30 Milliarden Euro übertragen. Gleichzeitig bröckeln Straßen und Schulgebäude, weil der Staat spart.

Die nächste Regierung könnte eine Menge tun, um die Ungleichheit zu bremsen. Mehr für Bildung ausgeben, damit das Gehalt weniger von der Herkunft abhängt. Für bezahlbare Wohnungen in den Städten sorgen. Die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer stärken. Und: Steuern für die Mittelschicht sowie Sozialabgaben für Geringverdiener senken. Finanzieren könnte der Staat dies auch durch eine höhere Belastung jener, die vom globalen Kapitalismus so stark profitieren. Wird die nächste Regierung etwas davon angehen? Von einer Jamaika-Regierung hatten die Bürger da wenig zu erwarten. Vielleicht sollten sie genau beobachten, was Union und SPD nun für ihr Bündnis diskutieren.

© SZ vom 15.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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