Kommentar:Hundesteuer für das Internet

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Die neue Digitalsteuer, die Deutschland und Frankreich vorschlagen, könnte das Internet besser machen.

Von Bastian Brinkmann

Bei VW geht der Mitarbeiter durchs Werkstor und schraubt am Band Blech zusammen. Das fertige Auto rollt hinter ihm vom Band, kommt in ein Wolfsburger Autohaus und wird dort verkauft. Wolfsburg, Niedersachsen und die Bundesrepublik erhalten viele Steuern, wenn VW viel Gewinn macht. Bei Internetkonzernen ist alles anders. Sie sammeln zwar Daten wie am Fließband, und Programmierer schrauben am Code. Aber das passiert irgendwo auf der Welt - unabhängig davon, ob ein Wolfsburger Autohaus eine Anzeige auf Facebook schaltet. Das soziale Netzwerk und auch die Suchmaschine Google werden jeden Tag von Millionen Deutschen benutzt, aber das Finanzamt profitiert nicht davon. Dieses Problem soll die Digitalsteuer lösen.

Deutschland und Frankreich haben nun einen klugen Vorschlag gemacht, wie die Digitalsteuer konkret aussehen könnte. Die Länder sind nicht in die Falle getappt, Daten zu besteuern. Stattdessen zielt die Steuer auf Werbung im Internet. Das ist gut, denn es gibt online zu viel Werbung. Anzeigen an sich sind nicht das Problem, es geht um Menge und Qualität. Jede neue Steuer bremst die damit verbundene Aktivität: Die Tabaksteuer hat geholfen, dass Menschen weniger rauchen. Wenn eine Gemeinde weniger Hunde haben will, weil nicht jeder Halter hinter dem Tier sauber macht, erhöht sie die Hundesteuer. Diese Digitalsteuer ist eine Hundesteuer für das Internet: Konzerne sollen drei Prozent ihrer Online-Werbeeinnahmen an das Finanzamt überweisen.

Daten zu besteuern, wäre fatal gewesen. Denn Deutschland und Europa brauchen mehr Daten, nicht weniger. Viele denken bei Daten nur an die intimen Nachrichten, die sie über Facebook schicken, oder die Krankheiten, die sie googeln. Doch ohne enorme Datensammelei ist es beispielsweise gar nicht möglich, autonome Autos zu entwickeln und zu bauen. Gerade das Hochindustrieland Deutschland braucht Daten. Und die Sammelei kann sogar Leben retten: In Nevada haben vor Kurzem Behörden und Firmen die Daten von Navigationssystemen analysiert und konnten die Zahl der Unfälle auf einer Autobahn um fast 20 Prozent senken.

Werbung zu besteuern, trifft die richtigen Firmen, die ihre Nutzer intensiv überwachen und sie damit locken, dass sie nichts bezahlen müssen. Das sind vor allem Google und Facebook. Die Kosten für Online-Anzeigen sind vor allem dank Google und Facebook enorm gesunken. Das führt zu dem Überangebot an Werbung, vor allem an schlechter Werbung. Es ist leicht, absurde Beispiele zu finden: Auf Facebook sehen Menschen Anzeigen für Abitur-Nachhilfe, obwohl sie ihren Uni-Abschluss offiziell auf Facebook eingetragen haben. Google glaubt, dass sich jemand für Country-Musik und Wassersport interessiert, der sich auf keinen Fall für Country-Musik oder Wassersport interessiert.

Digital-Dienste mit anderen Geschäftsmodellen kämen bei der Steuer besser weg. Wer sich mehr darauf stützt, von seinen Kunden Geld einzunehmen, statt ihnen Werbung zu zeigen, hat einen Vorteil. Das betrifft beispielsweise Netflix und Amazon (und digitale Zeitungs-Abos, um das nicht zu verschweigen). Auch diese Firmen sammeln Daten, um Nutzern Serien oder Bücher zu empfehlen. Das ist völlig in Ordnung, macht den Kunden im Idealfall ein besseres Angebot.

Irre Verschwörungstheorien profitieren vom Kampf um Werbeeinnahmen

Der Kampf um Werbeeinnahmen hat bisweilen unangenehme Effekte. Wann immer Nutzer Facebook öffnen, leuchtet ein roter Hinweis-Knopf, obwohl gar nichts Wichtiges passiert ist. Aber das hält die Nutzer auf der Seite, wo die Anzeigen zu sehen sind. Googles Videoplattform Youtube zeigt automatisch die irrsten Verschwörungstheorien, weil das die Leute vor dem Bildschirm hält. Wenn sich Werbung weniger lohnt, könnten auch diese Taktiken zurückgehen. Der deutsch-französische Kompromiss, dem alle EU-Länder zustimmen müssten, bevor er Gesetz werden kann, ist bisher nur grob ausformuliert. Es fehlt etwa noch eine Ausnahme für Start-ups und kleinere Firmen. Sie sollten von der Werbesteuer befreit sein, die Grenze für den Anzeigenumsatz könnte beispielsweise zwischen 100 und 500 Millionen Euro im Jahr liegen. Das ermöglicht weiterhin Innovationen aus Europa und den USA.

Allerdings: Gegen die Steuertricks der großen Internetkonzerne hilft die Digitalsteuer praktisch gar nicht. Wer Gewinne in Steueroasen verschiebt, den hält auch die Digitalsteuer nicht auf. Die verschobenen Gewinne aus Werbung werden nur etwas kleiner - immerhin.

© SZ vom 05.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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